STAND.PUNKT «BÄUME MÜSSEN IM MISCHWALD STEHEN» Der Schweizer Wald steht aufgrund des Klimawandels vor grossen Herausforderungen. Wir sprachen mit Kaspar Reutimann, Vorstandsmitglied von Lignum Schweiz sowie von Wald Schweiz, über die Zukunft des Waldes. Text Susanne Lieber | Foto zVg Rund ein Drittel der Schweiz – also etwa 1,3 Millionen Hektaren – ist mit Wald bedeckt. Wie steht es um ihn? Trotz der letzten Sturm- und Käferjahren ei- gentlich recht gut. Es hat ihm gutgetan, dass es im Frühling viel geregnet hat und es anhin nur kurze Zeit so extrem heiss war. Durch die Vorjahre wurde er zwar dezimiert, aber wir haben die Hoffnung, dass er sich jetzt mit dem Jungwald in den nächsten 15 bis 20 Jahren er- holt. Die drei häufigsten Baumarten in der Schweiz sind Fichte (Rottanne), Buche und Weisstanne. Sie werden aufgrund der Klimaveränderung langfristig ersetzt werden müssen. Durch wel- che Baumarten genau? Hier muss man differenzieren zwischen Mit- tellandwald und Gebirgswald. Ich spreche jetzt mal für den Mittellandwald, den wir nut- zen: Hier hoffen wir, dass uns die Weisstanne erhalten bleibt. Sie hat ein tieferes Wurzel- werk im Vergleich zur Fichte, einem Flach- wurzler. Dann setzen wir auch grosse Hoff- nung in die Eiche. Sie wächst zwar langsam und braucht mehr Licht, weshalb sie nicht so dicht wie die Fichte stehen kann. Dafür bildet sie tiefe Pfahlwurzeln, was für eine bessere Standfestigkeit bei Stürmen und eine bes- sere Wasseraufnahme sorgt. Die Produktion dieses Holzes wird zwar länger dauern und der Ertrag wird geringer sein, dafür handelt es sich hier aber um hochwertigeres Holz. Wir haben auch angefangen, Edelkastanien zu setzen. Ihr Holz ist hart und witterungsbe- ständig, weshalb es sich gut für Aussenan- wendungen wie Fassadenverkleidungen eig- net. Die dritte Art, in die wir grosse Hoffnung setzen, ist die Douglasie (Nadelbaum aus Nordamerika), die tief wurzelt und Hitze, Trockenheit und Sturm gut übersteht. Sie wächst schnell und produziert ein sehr gutes, witterungsbeständiges Holz. Allerdings ist dieses etwas schwieriger zu bearbeiten. Was ich grundsätzlich sehr wichtig finde für die Zukunft: Wir dürfen keine Monokulturen pflanzen – die Bäume müssen in einem Mi- schwald stehen. Monokulturen sind anfälli- ger für Stürme sowie für Schädlinge wie Kä- fer und Pilze. Ein wichtiger Aspekt bei Pflan- zungen mit Weiss tanne, Eiche, Douglasie und Kastanie ist übrigens auch, dass das Wild gerne deren Jungpflanzen frisst. Das heisst, wir müssen junge Bäume schützen, damit sie überhaupt hochkommen können. Dies bedeu- tet natürlich einen entsprechend höheren Aufwand für Waldbesitzer, aber ohne Schutz- massnahmen wird es nicht gehen. Ist es richtig, dass die Waldfläche in der Schweiz zunimmt – jährlich um rund 40 Qua- dratkilometer? Wie kommt das? Auch hier muss unterschieden werden zwi- schen Gebirgswald und Mittellandwald. Im Mittelland nimmt die Waldfläche weder zu noch ab. Die Fläche ist in ihrem Umfang ge- schützt. Wird an einem Ort beispielsweise gerodet, muss an einer anderen Stelle etwas neu gepflanzt werden. Wo die Waldfläche aber zunimmt, ist im Gebirge und im Tessin. Der Grund ist, dass viele Bauern gewisse Al- penweiden nicht mehr bewirtschaften und pflegen. Die Flächen verbuschen, und nach fünf bis zehn Jahren wachsen dann Bäume. Pioniergewächse sind hier beispielsweise der Haselnussstrauch und die Birke. Muss sich die Schweizer Holzbaubranche um Ressourcennachschub sorgen? Bislang war die Fichte der Brotbaum der Holzwirtschaft – weil sie schnell wächst und gut zu verarbeiten ist. Aber sie ist jetzt unter Druck geraten durch den Borkenkäfer. Im Mittelland ist der Fichtenbestand um 10 bis 20 Prozent zurückgegangen. Ich glauben so- gar, dass die Fichte aufgrund des Klimawan- dels in 30 bis 50 Jahren im Mittelland ver- schwunden ist. Das heisst aber nicht, dass die Holzwirtschaft keine Bäume mehr be- kommt. Sie muss sich einfach anders orien- tieren und sich auch in technischer Hinsicht neu erfinden. Es müssen künftig schwieriger zu bearbeitende Holzarten wie Douglasie und Weisstanne im Holzbau zum Einsatz kommen. Das bedingt jedoch eine Anpassung der Sä- gereien und der Branche. Im Jura gibt es bei- spielsweise ein Werk, in dem aus Eiche, Esche und Buche Leimbinder, also hochwer- tige Balken, gemacht werden. Das ist viel- leicht ein Ansatz, die Fichten im Holzbau zu ersetzen. Wie viel Holz wird jährlich in der Schweiz ge- erntet? Und wozu wird es verwendet? Nach der aktuellsten Studie (von 2021) wer- den fünf Millionen Kubikmeter Holz aus dem Schweizer Wald genutzt. Davon gehen 2,5 Millionen Kubikmeter als Nutzholz in die Sä- gereien und in die Bauwirtschaft. Zwei Millio nen Kubikmeter werden als Energieholz für Hackschnitzel, Pellets usw. genutzt. Und 0,5 Millionen Kubikmeter werden als Indust- rieholz zu Spanplatten und anderem verar- beitet. Kaspar Reutimann Der diplomierte Landwirt und Winzer (*1957) ist u. a. Mitgründer des Waldlabors Zürich- Hönggerberg und aktuell Vorstandsmitglied von Wald Schweiz, dem Verband der Schwei- zer Waldeigentümer. Sein Privatwald umfasst 4,5 Hektaren. waldschweiz.ch FIRST 3.23 37