D as Fachinteresse war riesig. Die Neu- gier auch. Als das Architekturbüro EMI (Edelaar Mosayebi Inderbitzin) im August letzten Jahres zur öffentlichen Besichtigung des ungewöhnlichen Neubaus in der Stampfenbachstrasse einlud, war der Andrang gross. Architekten, Ingenieure, Studenten, Holzbauspezialisten, Journalis- ten, Nachbarn … Sie alle schoben sich dicht gedrängt durch den fünfgeschossigen Bau. Innert kürzester Zeit war die Schlange vor dem Gebäudeeingang derart lang, dass sie so manchen Interessierten in die Flucht schlug. Der Holzbau, an dem nicht nur der Individual- verkehr unmittelbar vorbeirauscht, sondern auch Trams Richtung Hauptbahnhof, polari- siert. Schon an der kühl-nüchternen Metall- fassade mit vorgehängten Aluminiumpanee- len scheiden sich die Geister. Am konzeptio- nellen Raumkonzept im Inneren erst recht. Doch warum überhaupt ein Wohnkonzept, das sich nicht auf fest abgesteckte Nut- zungsbereiche beschränkt und stattdessen Flexibilität propagiert? Ein Blick auf die Sta- tistik zeigt: Ein Drittel der Bevölkerung Zü- richs lebt inzwischen in Single-Haushalten, ein Drittel in Haushalten mit gerade mal zwei Personen. Der Bedarf an kleine(re)n Woh- nungen wächst und wächst, wobei die An- sprüche an diese sehr unterschiedlich sind. Trotz eingeschränkter Platzverhältnisse soll dennoch Spielraum für individuelle Lebens- entwürfe sein. Und genau hier setzt das Kon- zept der Architekten an: Auf der Suche nach flexibel gestaltbaren Räumen, die sich schnell und unkompliziert den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner anpas- sen, entstand das sogenannte performative Haus. Der Begriff ist etwas sperrig, der Duden klärt auf: «Performativität = Hervor- bringung neuer Wirklichkeit durch kulturelle Vorgänge und Erscheinungen». Die Frage, wie qualitativ hochwertiger Raum auf kleiner Fläche entstehen kann, beantwor- ten die Zürcher Gestalter wie folgt: Man löse konventionelle Zimmerstrukturen (weitge- hend) auf, indem man feststehende Wände durch Wandscheiben ersetzt, die sich an ei- nem Stahlrohr azentrisch um ihre eigene Achse drehen. Dadurch wird ein Maximum an Flexibilität geschaffen. Wohnbereiche lassen sich mit nur einem Schwenk verkleinern, ver- 1 Insgesamt 30 Wohnungen umfasst der Bau. Rückseitig erweitern Balkone die relativ kleinen Wohnflächen. 2 Der Holzbau schottet sich mit einer Metallfassade von der stark befahrenen Stampfenbachstrasse ab. 2 Das Projekt – die Fakten Objekt: Wohnhaus «Performatives Haus» Standort: Stampfenbachstrasse 131, Zürich Bauherrschaft: UTO Real Estate Management AG, Zürich Planungs- und Bauzeit: 2018–2022 Geschossfläche (anrechenbar): 1552 m2 Gebäudevolumen (SIA 416): 7550 m3 Architektur: Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten AG, Zürich (Associate: Christian Franke; Projektleitung: Michael Brotzer, Lukas Burkhart, Fabian Lauener; Bauleitung: Michael Brotzer, Fabian Lauener; Architekt: Nicolas Cuénod, Andreas Monn) Holzbauingenieur: Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG, Zürich Holzbau: Häring AG, Eiken (AG) Konstruktion und Holz: vorfabrizierter Tafelbau mit Brettschichtholz aus Fichte Schreinerarbeiten: Nilo Schreinerei Küchenbau AG, Wettingen (AG) Baukosten: CHF 7,56 Mio. grössern oder einfach umarrangieren. Selbst Stauraum nimmt als mobiles Volumen Einfluss auf den Grundriss. Die verspiegelten Schränke sind ebenfalls als drehbare Ele- mente definiert. Schlaf- beziehungsweise Sitzpodeste mit integrierten Schubladen und Bodenklappen schaffen zudem eine ab- wechslungsreiche Topografie, die den Grund- riss auch vertikal belebt – und darüber hinaus weiteren Stauraum generiert. Was der Idee der Architekten Rechnung trägt, dass es beim Einzug nicht viel Mobiliar benötigt. Wer will, zieht einfach mit kleinem Gepäck ein. Das Gebäude umfasst insgesamt 30 Wohnun- gen, die – mit einer Ausnahme im Erdge- schoss – alle nur zwischen 26 und 54 Qua- dratmeter gross sind. Im Gegensatz zu den FIRST 1. 23 13