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Weit gespannt

In Zollikerberg sind zwei Mehrfamilienhäuser in Holzbauweise entstanden. Das Besondere: Die Geschossdecken überspannen ungewöhnlich grosse Flächen.

Text Susanne Lieber | Fotos Elisa Florian | Pläne Merkli Degen Architekten

Es sind nur wenige Fahrminuten, die die Zürcher Innenstadt und Zollikerberg – ein Dorfteil der Gemeinde Zollikon – voneinander trennen. Stand man eben noch auf dem Sechseläutenplatz vor der Oper, tun sich kurze Zeit später weitläufige Wiesen und Selbstpflückfelder auf. Einen Steinwurf von der Forchstrasse entfernt, die das Stadt- und das Landleben auf direktem Wege verbindet, wurden im letzten Jahr zwei Mehrfamilienhäuser in Holzbauweise fertiggestellt – auf dem Grundstück eines Bauernhofs, der nach wie vor bewohnt und bewirtschaftet wird.
 
Früher weideten regelmässig Schafe auf der grossen Wiese des Gehöfts. Heute ragen zwei viergeschossige Baukörper mit insgesamt 22 Mietwohnungen über die Grasnarbe. Die beiden Mehrfamilienhäuser bilden ein stimmiges Ensemble, das später mit einem dritten Baukörper ergänzt werden könnte – sofern irgendwann Bedarf an einer Verdichtung bestehen sollte.

Dass es sich bei den Gebäuden um Holzbauten handeln soll, stand zu Beginn der Planung noch nicht fest. Diesbezügliche Vorgaben hatte es von Seiten der Bauherrschaft, die 2018 einen privaten Wettbewerb auslobte, keine gegeben. Ob ein Massivbau oder ein Holzbau das Rennen machen würde, war also zunächst
völlig offen. Der Zufall allerdings spielte dem Holzbau in die Hände: Das Zürcher Büro Merkli Degen Architekten, das zum Wettbewerb geladen und diesen für sich entscheiden konnte, hatte zu jenem Zeitpunkt mit der Timbatec AG zu tun. Das bekannte Schweizer Ingenieurbüro entwickelte damals gerade zusammen mit der Fachhochschule Biel und der ETH Zürich eine neue Verbindungstechno­logie, mit der es möglich werden sollte, auch grössere Spannweiten mit Brettsperrholzplatten zu überbrücken – und zwar ohne Unterzüge oder zusätzliche Zwischenstützen. Mit anderen Worten: Damit sollte künftig auch mit Holz möglich sein, was bislang nur mit Stahlbeton gelungen ist.

Im Jahr 2018 steckte die sogenannte TS3-Verbindungstechnologie gewissermassen noch in den Kinderschuhen. Inzwischen ist sie etabliert, denn Vollholzplatten, die ganze Geschossdecken bilden können, eröffneten völlig neue Möglichkeiten für den Holzbau.

«Dass wir auf TS3 aufmerksam geworden sind, war damals reiner Zufall», erklärt Ueli Degen, einer der beiden Gründer des Büros Merkli Degen Architekten. «Eigentlich waren wir wegen eines anderen Holzbauprojekts mit den Ingenieuren von Timbatec im Gespräch. Sie erzählten uns von der Entwicklung ihres neuen Verbindungssystems und zeigten uns ein entsprechendes Muster. Diese innovative Technik blieb uns seitdem immer im Hinterkopf. Irgendwann kam uns in den Sinn, dass wir TS3 beim Bauprojekt in Zollikerberg einsetzen könnten.»

Dem Grundsatzentscheid ob Holz- oder Massivbau gingen eingehende Untersuchungen und Vergleiche voraus. Das Rennen machte schliesslich der Entwurf in Holz, der später von der Holzbau Oberholzer GmbH ausgeführt wurde. Einer der Gründe: Mit einem Gebäude aus Holz konnte ein stimmiger(er) Bogen zum bestehenden Bauernhaus, ebenfalls ein Holzbau, geschlagen werden. Die Kombination eines Holzbaus mit der TS3-Technologie versprach zudem, eine wirtschaftlich interessante Lösung zu sein, mit der auch die Bauzeit erheblich verkürzt würde. Trotzdem dauerte es eine gewisse Zeit, ehe sich die Bauherrschaft «pro Holzbau» aussprach. Vor fünf Jahren, als die Gebäude geplant wurden, musste noch deutlich mehr Überzeugungsarbeit für einen Holzbau in einer solchen Grösse geleistet werden.


Gelungene Transformation

Dass der Entwurf, der zu Beginn noch nicht mit Holzdecken geplant war, so unkompliziert und pro­blemlos mit der neuen Deckenplatten-Technologie umgesetzt werden konnte, sei ein echter Glückstreffer gewesen, resümiert Architekt Ueli Degen. Nicht alle Entwürfe liessen sich transformieren, bei manchen sei es konstruktiv schlichtweg nicht sinnvoll. Hier schon. Und so entstanden grosszügige Wohnräume mit durchgehenden Geschossdecken, die nahtlos von den Innenräumen auf die Balkone hinausführen.

Insgesamt dauerte die Bauzeit der zwei Mehrfamilienhäuser zwanzig Monate, davon nahm der Holzbau acht Wochen Zeit für die Vorfertigung in Anspruch, zwei Wochen für die Aufrichte.
merklidegen.ch, holzbau-oberholzer.ch

Merkli Degen Architekten

Die Gründung des Architekturbüros geht auf das Jahr 1930 zurück. Inzwischen wird es von den beiden Architekten Alain Merkli und Ueli Degen, beides ETH-Absolventen, geleitet. Das Tätigkeitsfeld reicht von der Planung bis zur Baubewilligung von Privatbauten und auch öffentlichen Gebäuden. Derzeit sind im Zürcher Büro 21 Mitarbeitende beschäftigt.
merklidegen.ch


Das Projekt – die Fakten

Projekt: zwei Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 22 Wohnungen, Zollikerberg (ZH)
Fertigstellung: 2022
Bauherrschaft: Hirs Immobilien, Zollikon
Architektur: Merkli Degen Architekten, Zürich
Holzbauingenieur: Timbatec AG, Zürich
Holzbau: Holzbau Oberholzer GmbH, Eschenbach (SG)
Konstruktion/Tragwerk: Holzelementbau, Plattenbauweise (TS3-System)
Holzart: Fichte/Tanne
Bruttogeschossfläche (SIA 416): 3877 m2
Gebäudevolumen (SIA 416): 12 366 m3
Besonderheiten: stirnseitige Verklebung der Deckenelemente aus Massivholz (TS3-System)
Kosten (Holzbau): CHF 1,57 Mio.

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