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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

3/25 Wohnen

BAU.WERK

Radikal konsequent

Das fünfgeschossige Bürogebäude «Hortus» von Herzog & de Meuron hat bereits im Vorfeld für Aufsehen gesorgt. Nicht ohne Grund, denn in Sachen Nachhaltigkeit hängt der Holz-Lehm-Bau in Allschwil (BL) die Latte hoch.

Text Susanne Lieber | Fotos Maris Mezulis, Susanne Lieber, David Walter | Pläne Herzog & de Meuron

 

Sechs rote Lettern prangen vor dem Büroneubau an einem hohen Metallgerüst: H-O-R-T-U-S. Der Name leitet sich vom lateinischen Wort für Garten ab. Vor einiger Zeit markierten Metallgerüst und Schriftzug noch einen Pop-up-Biergarten an gleicher Stelle. Nun dient das Relikt als Willkommensgruss für Büromitarbeitende – und für Architekturinteressierte, denn schon während der Bauphase sorgte das Büro­gebäude von Herzog & de Meuron für viel Gesprächsstoff in der Branche. Warum? Weil das Entwurfskonzept ganzheitlich auf Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit setzt. 

Hortus, der Garten. Das klingt nach Grün, nach Erholung, nach Wohlfühloase. Der Innenhof des kompakten Bürobaus hat auch etwas von einer Oase. Was nicht erstaunt, denn bei dessen Gestaltung war ein bekannter Landschaftsgärtner, der Niederländer Piet Oudolf, am Werk. Hortus steht hier allerdings auch als Akronym für (H)ouse (o)f (R)esearch, (T)echnology, (U)topia und (S)ustainability. Und bringt damit auf den Punkt, was es mit dem neuen Gebäude auf sich hat: Hier geht es um Forschung, Technologie, Utopie und Nachhaltigkeit.

Ausgelegt ist das Gebäude für 600 Mitarbeitende und steht in Allschwil (BL) – auf dem Areal des Switzerland Innovation Park Basel, einem Standort für Unternehmen aus den Life-Sciences-Bereichen Biotechnologie, Medizintechnik, Robotik und Forschung. 

Dass Hortus – in Auftrag gegeben von der Senn Resources AG – nun erfolgreich fertiggestellt werden konnte, ist massgeblich den folgenden Baubeteiligten geschuldet: dem Architekturbüro Herzog & de Meuron, der ZPF Ingenieure AG, dem Holzbauunternehmen Blumer Lehmann aus Gossau (SG) und der österreichischen Lehm Ton Erde Baukunst GmbH. In Zusammenarbeit wurden innovative Lösungen für Bauelemente entwickelt (mehr dazu S. 32), auf denen die Architektur überhaupt erst basiert. Hier ist also nichts weniger als der komplette Entwurfsprozess auf den Kopf gestellt worden: Am Anfang stand die Analyse, welche Baumaterialien im Sinne der Nachhaltigkeit am öko­logischsten und sinnvollsten sind – und daran orientierten sich dann der Gebäudeentwurf und die Konstruktion.

Nachhaltigkeitsaspekte im Überblick
Doch was macht nun das modular aufgebaute Bürogebäude von Herzog & de Meuron zum Vorzeigebau hinsichtlich Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit? Die wichtigsten Aspekte zusammengefasst:

  • Die Baumaterialien bestehen in erster Linie aus natürlichen, recycelbaren und regionalen Rohstoffen, die nach dem Cradle-­to-cradle-Prinzip später der Umwelt wieder zugeführt werden könn(t)en – allen voran Holz und Lehm. Das Holz für das Tragwerk kommt aus der Schweiz, der Lehm stammt sogar direkt aus dem Baustellenaushub (S. 32). Durch die kurzen Transportwege konnte die graue Energie deutlich reduziert werden. 
  • Die Gebäudekonstruktion basiert auf dem Prinzip, dass sich die Bauelemente bei Bedarf wieder demontieren lassen, um sie anderswo weiterverwenden zu können. Entsprechend wurden die Bauteile katalogisiert. Die Holzverbindungen beispielsweise sind gesteckt und geschraubt, auf Leim wurde so gut wie möglich verzichtet. 
  • Das Gebäude ist nicht unterkellert, weshalb grosse Mengen an Beton eingespart werden konnten. Stattdessen schwebt der Bau auf kleinen Stelzen, knapp einen Meter über dem Grund. Der Boden ist somit nicht versiegelt und die Luft kann unter dem Bau zirkulieren, was während der Sommerzeit zur passiven Kühlung des Bürogebäudes beiträgt und im Winter als Luftdämmschicht dient. 
  • Der begrünte Innenhof sorgt für ein angenehmes Mikroklima. Zudem bieten dort Rankgewächse an der Fassade einen natürlichen Schutz vor Überhitzung der Räume. In einem Tank unter dem Garten wird Regenwasser gesammelt, das zur Pflanzenbewässerung und für die Toilettenspülung verwendet wird. 
  • Geheizt wird der Bau durch Erdwärme; Strom liefern Photovoltaikelemente an der Aussenfassade sowie auf dem Dach.
  • Die Grundrisse der vier Büroetagen (insgesamt etwa 10 000 Quadratmeter Fläche) sind offen gestaltet und lassen sich flexibel an die Bedürfnisse der Mieterschaft anpassen, was eine lange Nutzungsdauer ermöglicht. 
  • Last, but not least: Das gesunde Raumklima und die angenehme Raumatmosphäre, die vor allem durch das Zusammenspiel von Holz und Lehm entstehen, schaffen eine hohe Aufenthaltsqualität der Innenräume, die auch langfristig attraktiv ist. hortus.ch



Innovative Holz-Lehm-Elemente

Eigens für Hortus spannten vier Unternehmen zusammen, um gemeinsam Holz-Lehm-Decken zu entwickeln: das Architekturbüro Herzog & de Meuron, die ZPF Ingenieure AG, das Holzbauunternehmen Blumer Lehmann sowie die österreichische Lehm Ton Erde Baukunst GmbH. Es entstanden Elemente, die aus rechteckigen Holzrahmen (Schweizer Holz) und einer gewölbten Stampflehmfüllung bestehen. Da für die speziell entwickelte Stampflehmrezeptur 76 Prozent des Baustellenaushubs und 24 Prozent regionaler Mergel verwendet wurden, erfolgte die Fertigung der hybriden Elemente direkt vor Ort in einer Feldfabrik (Bild 10). Mit Stampfern und Rüttelplatten wurde die Mischung verdichtet. Im Vergleich zu Betonelementen mit ähnlicher Traglast liegen bei den Holz-Lehm-Elementen übrigens die CO2-Emissionen bei nur zehn Prozent. Der Lehm – er bleibt nach dem Einbau der Deckenmodule sichtbar – sorgt für ein gutes Raumklima (Luftfeuchtigkeitsausgleich sowie Kühlung) und dient zudem als Brandschutz. blumer-lehmann.com, lehmtonerde.at, herzogdemeuron.com, zpfing.ch


Das Projekt – die Fakten

Projekt: Büroneubau
Bauherrschaft: Senn Resources AG, St. Gallen
Fertigstellung: 2025
Generalplanung: Senn Construction AG, St. Gallen
Architektur: Herzog & Meuron Basel AG, Basel
Bautechnik: ZPF Ingenieure AG, Basel
Brandschutz: Aegerter & Bosshardt AG, Basel
Holzbau / Fassadenbau: Blumer Lehmann AG, Gossau (SG)
Stampflehm: Lehm Ton Erde Baukunst GmbH, Schlins (AT)
Holz-Lehm-Verbunddecken (ARGE): Blumer Lehmann, Gossau; Lehm Ton Erde Baukunst GmbH, Schlins 
Konstruktion: Fachwerkbau, Holzrahmenbau, Holz-Lehm-Verbunddecken
Holz / Holzmenge: Schweizer Holz, vorwiegend Massivholz (3000 m3
Bruttogeschossfläche (GFA): 14 100 m2
Gebäudevolumen (GV): 58 500 m³
Besonderheiten: Entwurfskonzept mit ganzheitlichem Nachhaltigkeitsansatz (reduzierter Energieverbrauch während der Bauphase; Nutzung vorwiegend nach­wachsender, recycelfähiger und regionaler Baustoffe; energieoptimierter Betrieb)

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