2/25 Aufgehorcht!
BAU.WERK
PSSSSST!
Wer Reiher, Specht, Pirol und Nachtigall beobachten möchte, muss leise sein – und braucht ein entsprechendes Plätzchen, das zum Observieren taugt. Der kürzlich fertiggestellte Turm am Ufer der Thur ist genau dafür gemacht. Und war die Masterarbeit von Jungingenieur Jan Hess.
Text und Interview Susanne Lieber | Fotos Isabelle Rüegg, Daniel Meyer, Susanne Lieber | Pläne Blumer-Lehmann AG
Die Thurauen sind das grösste Auenschutzgebiet des Schweizer Mittellandes und bieten kostbaren Lebensraum für Flora und Fauna, darunter auch für den Eisvogel, der hier brütet. Der neue Beobachtungsturm dürfte aber nicht nur Hobbyornithologen begeistern. Auch der Holzbau an sich ist sehenswert. Entworfen und konstruiert wurde der Turm von Jan Hess – im Rahmen seiner Masterarbeit im Studiengang Bauingenieurwissenschaften an der ETH Zürich. Ein Interview
Herr Hess, der Beobachtungsturm in den Thurauen basiert auf Ihrer Masterarbeit.
Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch!
Vielen Dank, das freut mich.
Aber von Anfang an: Wie sind Sie überhaupt zu diesem Projekt gekommen?
An der ETH Zürich ist es grundsätzlich so, dass man sich entweder selbst ein Projekt für die Masterarbeit überlegen kann, oder man bearbeitet eine Aufgabe, die von den Professoren vorgeschlagen wird. Der Turm war eine der Optionen, die im Bereich Holzbau angeboten wurden. Insgesamt waren wir vier Studierende, die sich für dieses Projekt entschieden haben.
Jeder von uns hat dazu Entwürfe entwickelt.
War von vornherein klar, dass einer der Entwürfe am Ende wirklich realisiert werden würde?
Ja, davon ist man ausgegangen.
Und wie wurde entschieden, welches Holzbauunternehmen den Turm fertigt?
Die ETH hatte am Anfang vier verschiedene Holzbauunternehmen angefragt, ob sie jeweils einen Studenten bei seiner Masterarbeit betreuen wollen. Welcher Betrieb mit welchem Studenten zusammenarbeitet, wurde ausgelost. Bei mir war es die Blumer-Lehmann AG.
Wie ging es dann weiter?
Zunächst wurden die Rahmenbedingungen des Projekts abgesteckt, dann erste Ideen entwickelt, wie diese jeweils umgesetzt werden könnten. Marcel Muster (ETH-Dozent am Institut für Baustatik und Konstruktion, Anm. d. Red.) unterstützte mich dabei. In diesem Projektstadium hatte ich auch eine Sitzung mit einem Architekten, der Input zu den Entwürfen gegeben hat. So sind aus vagen Ideen umsetzbare Varianten entstanden. In einer ersten Zwischenpräsentation haben wir vier Studenten dann jeweils drei Varianten vorgestellt. Zusammen mit Andrea Frangi (Professor für Holzbau an der ETH, Anm. d. Red.), Marcel Muster und dem Architekten wurde entschieden, welche Variante die beste und vor allem auch die technisch anspruchsvollste ist – schliesslich war es ja eine Masterarbeit. Der ausgewählte Entwurf wurde dann weiterentwickelt. Bei der Ausarbeitung stand mir Markus Rutz (Geschäftsleiter des Bereichs Holz- und Modulbau, Blumer-Lehmann AG; Anm. d. Red.) zur Seite.
Welche Entwurfsidee liegen Ihrem Turm zugrunde?
Ich hatte einen dynamischen Zylinder vor Augen – einen Körper wie einen leicht verdrehten Ast oder Baum. Dann stellte sich die Frage, wie man das umsetzen kann. Und so kam die Figur eines Hyperboloids ins Spiel. Vom Prinzip her entsteht die Form wie beim Mikado – wenn man einen Haufen Stäbe in der Mitte zusammenhält, spreizen sie oben und unten etwas auseinander. Ich fing an, mit dieser Form zu spielen und mir Gedanken über die Details zu machen: Aus wie vielen Stäben soll der Hyperboloid bestehen? In welchem Winkel sollen die Stäbe stehen? Wo soll der engste Punkt des Baus sein? Dabei galt es, nicht nur die Statik zu berücksichtigen, sondern auch die Nutzung. Die Plattformen mussten beispielsweise auf bestimmten Höhen sein, und zwischen den Stäben sollte man gut hindurchschauen können.
Wo lagen die grössten Herausforderungen bei diesem Projekt?
Zum einen war es allgemein der Holzschutz. Die Vorgabe war, dass wir unbehandeltes Holz verwenden sollten. Das hatte entsprechend Einfluss auf die Wahl der Holzart. Für das äussere Stabtragwerk wählte ich Lärche, weil das Holz witterungsbeständiger ist als Buche oder Eiche. Hierbei war wesentlich, dass die Stirnholzseiten geschützt sind, denn longitudinal – also in Längsrichtung zum Stamm – zieht Wasser am besten ins Holz ein. Für die Konstruktion bedeutete das, dass die Stäbe oben gut abgedeckt sein müssen. Darum kragt das Dach hier auch aus. Unten sitzen die Stäbe in rund 35 Zentimetern Höhe auf Stahlfüssen, um genügend Abstand zur Fundation zu haben und nicht dauerhaft im Nassen zu stehen. Auch bei den Verbindungen zwischen den einzelnen Stäben ist es wichtig, dass das Wasser dort gut abfliessen kann und keine Feuchtenester entstehen. Auf der Innenseite des Turms wurde hauptsächlich Fichte verwendet. Wobei die Treppenstufen und die Plattformen, auf denen die Besucher auch mal mit nassen Schuhen laufen, bei Bedarf leicht ausgebaut und ersetzt werden können.
Wie haben Sie die Verbindungen zwischen den äusseren Tragwerksstäben gemacht?
Die Tragwerksstäbe sind mit Gerüstschellen miteinander verbunden – was auch hinsichtlich des Aufbaus eine gute Lösung war.
Und welche konstruktive Rolle spielt die Spindeltreppe?
Die massive Spindel in der Mitte ist nicht nur statisches Bauteil der Treppe, sondern stützt gleichzeitig auch das Dach. Dessen Tragwerk besteht hierbei aus Balken, die sternförmig von der Mitte aus zum Dachrand verlaufen. Gleichzeitig halten die Balken die Tragwerksstäbe gegen innen, die ansonsten nach aussen hin ausbrechen würden. Bei der Treppe ist es ausserdem so, dass die Stäbe, die den Treppenaufgang einfassen, einerseits die Absturzsicherung bilden, andererseits aber auch Teil des Tragwerks sind. Die einzelnen Stufen sind jeweils innenseitig an der Spindel und aussenseitig an den Stäben montiert. Dadurch lassen sich die Stufen bei Bedarf einfach einzeln austauschen.
Können Sie noch etwas zur Dachentwässerung sagen?
Entwässert wird das Dach über zwei Kupferhängel, also im Grunde zwei Kupferrohre, die in der Mitte des Turms nach unten laufen – der Absturzsicherung entlang.
Die Umgebung des Turms, inmitten eines geschützten Auengebiets, ist eine besondere. Kannten Sie die Thurauen schon vorher?
Ja, ich kannte dieses Gebiet, zumindest ein bisschen – von Vorlesungen zum Thema Wasserbau. In diesem Zusammenhang wurde auch über die Renaturierung der Thurauen gesprochen. Am Anfang des Projekts sind wir dorthin gefahren, um zu schauen, wie die Rahmenbedingungen sind. Dabei ging es um Fragen wie: Kann man überhaupt an den Bauplatz hinfahren? Wie gross dürfen die einzelnen Bauteile sein, um sie dorthin transportieren zu können? Dies muss ja alles im Vorfeld geklärt sein.
An derselben Stelle gab es schon vorher einen Holzturm. Konnte demnach die Fundation übernommen werden?
Stimmt, an der Stelle stand bereits ein Holzbau, aber es handelte sich eher um eine Plattform, die deutlich niedriger war. Ob die Mikropfähle übernommen wurden, kann ich aber nicht sagen. Die Planung der Fundation war nicht Teil unserer Aufgabe.
Ihr Turm steht jetzt – und wie ist Ihr Fazit?
Es war grossartig, ein solches Projekt machen zu dürfen. Zum einen, weil es an sich eine spannende Bauaufgabe war. Zum anderen, weil es natürlich schön ist, wenn das, was man sich überlegt hat, tatsächlich auch realisiert wird und nicht einfach in einer Schublade verschwindet. Und es ist toll, wenn bei gewissen Sachen direkt überprüft werden kann, ob es so geworden ist, wie man sich das vorgestellt hat. Zum Beispiel, ob die Besucherinnen und Besucher auf der mittleren Plattform – der engsten Stelle des Turms – genug Platz haben, um gemütlich aneinander vorbeizukommen. Oder ob zwischen den Stäben gut rausgeschaut werden kann. Wenn man sich dann sagt: «Ja, das ist mir gut gelungen», ist das schon eine coole Sache.
blumer-lehmann.com
naturzentrum-thurauen.ch/naturbeobachtungspunkte-in-den-thurauen/
Das Projekt – die Fakten
Projekt: Beobachtungsturm Thurauen, Flaach (ZH)
Bauherrschaft: Baudirektion Kanton Zürich – Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL), Abteilung Wasserbau
Fertigstellung: April 2025
Architektur/Konstruktion (Masterarbeit): Jan Hess, damals ETH-Student; Baueingabeplanung durch GU-Abteilung der Blumer-Lehmann AG, Gossau (SG)
Holzbauingenieur: Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG, Zürich
Holzbau: Blumer-Lehmann AG, Gossau; (Projektleitung: Hansueli Frei, David Riggenbach)
Holzbau (Unterstützung bei Montage): Robert Schaub AG, Andelfingen (ZH)
Konstruktion/Tragwerk: aussenliegendes Gitterschalentragwerk (Haupttragwerk); Hebeltragwerk mit sechseckiger Öffnung für Spindeltreppe (Sekundärtragwerk)
Holz: BSH Lärche (Gitterschale), BSH Fichte (Spindel, Podest, Dachträger), Fichte massiv
(Geländer, Treppeneinhausung, Stufen, Podeste), CLT Fichte (Dachfläche, Geländerholme) Podestflächen (Nutzflächen): auf Podest 1 ca. 16 m2 (Höhe 7,76 m), auf Podest 2 ca. 31 m2 (Höhe 11,9 m)
Turmhöhe: 15,25 m
Gesamtkosten: ca. CHF 530000
Besonderheiten: ETH-Masterarbeit, Bauen im Naturschutzgebiet
Jan Hess
Aufgewachsen ist Jan Hess (* 1997) in Baar, wo er 2015 seine Schulzeit mit der Matura (Schwerpunktfächer Mathematik und Physik) abschloss. Danach fing er ein Studium an der ETH Zürich im Bereich Bauingenieurwissenschaften an und machte zunächst seinen Bachelor. Im Anschluss daran folgte der Masterstudiengang Bauingenieurwissenschaften. Der Beobachtungsturm in den Thurauen ist der krönende Abschluss seiner Studienzeit. Seit einem Jahr arbeitet Jan Hess als Projektingenieur bei der F. Preisig AG (Bauingenieure und Planer) in Zürich. preisigag.ch