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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

3/2022 Zeitgemäss

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«Ziel muss sein, Holzbauten mit geringem Holzverbrauch zu entwickeln»

In NACH.GEFRAGT kommen Architekten und Ingenieurinnen zu Wort. Es dreht sich alles um Inspiration und Ideen – und ums Holz. Dieses Mal sprachen wir mit Markus Krattiger von der Krattiger Engineering AG in Happerswil.

Interview Susanne Lieber | Foto zVg


Wenn Sie an Holz denken, welche drei Begriffe fallen Ihnen zuerst ein?
Nachhaltigkeit, Tradition, Allheilmittel. Holz ist heute in aller Munde. In Wettbewerben für öffentliche oder private Bauten wird eine nachhaltige Bauweise mit geringem CO2-Fuss­abdruck gefordert, was nur mit Holz erreichbar ist. Holz soll als Ersatz für fossile Brenn- und Treibstoffe dienen. Zu guter Letzt soll der Wald auch noch ein langfristiger CO2-Speicher sein. «Unser» altbewährter Baustoff wird zum Allheilmittel für die gros­sen Probleme der heutigen Zeit.

Stellen Sie sich vor, dem Holzbau wären keine Grenzen gesetzt – weder konstruktiv noch gesellschaftlich. Wie würde die Welt aus Ihrer Perspektive aussehen?

Investoren, öffentliche und private Bauherrschaften haben sich der Nachhaltigkeit verpflichtet und setzen konsequent auf Holz. In Forschung und Lehre erhält Holz als Bau- und Rohstoff (noch) mehr Gewicht. Architektinnen und Architekten entwerfen «holzbaugerecht». In meinem beruflichen Alltag stelle ich fest, dass dies bei öffentlichen Bauten bereits heute so gelebt wird. Offertenanfragen für Schulbauten erhalten wir wöchentlich, ein wichtiger Teil unserer aktuellen Projekte sind aus diesem Bereich. Die Nachfrage nach Holz, am besten mit Schweizer Herkunft, wird in den nächsten Jahren stark zunehmen. Ich befürchte, dass Holz als Bau- und Rohstoff in naher Zukunft Opfer seines eigenen Erfolges werden könnte. Dies gilt es zu verhindern. Es wird notwendig sein, die Kapazitäten bei Planern und Holzbauunternehmungen weiter auszubauen. Zusätzlich muss Holz wieder wie früher als wertvolles Material betrachtet und entsprechend sparsam eingesetzt werden. Ich habe wenig Verständnis, wenn 300 Kubikmeter Bauholz für ein einziges Einfamilienhaus verbaut werden und dies als nachhaltige Vollholzbauweise propagiert wird. Nachhaltig ist es, mit dieser Holzmenge fünf bis zehn Wohnhäuser in Holz-Ständerbauweise zu erstellen. Wir Ingenieure und Planende sind wieder gefordert. Ziel muss es sein, Holzbauten mit möglichst geringem Holzverbrauch pro Quadratmeter Wohn- oder Nutzfläche zu entwickeln.

Eine Schlagzeile über Höhenrekorde im Holzbau folgt der anderen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Hochhäuser sind die Formel?1 des Holzbaus. Damit kann eindrücklich und einfach verständlich aufgezeigt werden, was mit Holz als Baustoff möglich ist. Ich erwarte jedoch nicht, dass Hochhäuser in Zukunft grösstenteils in Holz erstellt werden. Dazu dürften der Materialaufwand und schlussendlich die Kosten zu hoch sein. Ich erhoffe mir aber Erkenntnisse und neue Lösungsansätze im Bereich Brandschutz, Produktion und Montage. Dies bringt den gesamten Holzbau weiter, was aus meiner Sicht das Streben nach «Höhenrekorden» rechtfertigt.

Wer oder was inspiriert Sie?

Mit offenen Augen durchs Leben gehen, aufnehmen, was wie gebaut wurde. Gute Ideen in Erinnerung behalten und darauf hoffen, dass diese im richtigen Moment wieder auftauchen, wenn kreative Lösungsansätze gesucht sind.

Kommen wir zu Ihren eigenen Projekten: Welches ist Ihr Liebling?

Ein eigentliches Lieblingsprojekt habe ich nicht. Ingenieure sind ja bekanntlich Problemlöser. In der Regel ist es unsere Aufgabe, architektonische Entwürfe zum «Tragen» zu bringen. Als Holzingenieure versuchen wir, das mit Holz zu erreichen – wann immer möglich und sinnvoll. Ich habe Freude, wenn es uns gelingt, mit einem überzeugenden Tragwerkkonzept, einer spe­ziellen Detaillösung oder einem aussergewöhnlichen Montagevorgang eine auf den ersten Blick unmögliche Entwurfsidee umsetzen zu können. Oder eine Bauherrschaft für Holz als Baustoff für ihr Projekt zu überzeugen. Nach über 25 Jahren Tätigkeit als Holzingenieur habe ich das Privileg, eigene Projekte über eine längere Zeit zu beobachten. Es interessiert mich, ob sich unsere vor 10 oder 20 Jahren entwickelten Lösungen bewähren. Die Skisprungschanze Gibswil ist ein solches Beispiel. Der Schanzenturm ist der Witterung stark ausgesetzt. Wir hatten damals einen sehr grossen Aufwand für die Detailkonstruktion hinsichtlich des kons­truktiven Holzschutzes betrieben. Es freut mich, dass dieses Bauwerk über 15 Jahre nach der Einweihung immer noch in einem sehr guten Zustand ist. Die damaligen Lösungsansätze waren also richtig.

Markus Krattiger, Krattiger Engineering AG

Markus Krattiger (56) ist durch und durch ein Hölziger. Kein Wunder, er wuchs bereits in einer Zimmerei auf. Und so kam es, wie es kommen musste: Er absolvierte eine Zimmermannslehre. Später folgte ein Bauingenieurstudium, nach dem er sich in die Selbstständigkeit wagte: 1996 gründete er die Krattiger Engineering AG in Happerswil (TG). Sein Ingenieurbüro für Holzbau beschäftigt derzeit acht Mitarbeitende. krattigering.ch

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