01/2021 Bühne frei
FOKUS.THEMA
Zauberhut am Zürisee
Er sorgte bereits für Schlagzeilen, lange bevor das erste Baufahrzeug auf dem Areal vorfuhr: der fantastische Zauberhut von Knies Kinderzoo. Das stützenfreie Schalenfaltwerk aus Holz schraubt sich stolze 26 Meter in die Höhe. Seit vergangenem Herbst thront der Hut im zoologischen Garten und wartet auf seinen Einsatz. Es fehlen nur noch die Gäste.
Text Sandra Depner | Fotos Luca Zanier | Visualisierungen Carlos Martinez Architekten, Blumer-Lehmann AG
Schon die Visualisierungen liessen erahnen, dass im Herzen des zoologischen Gartens – zwischen Giraffen, Geparden und Elefanten – ein spektakulärer Bau entstehen sollte. Die geschwungene Holztragkonstruktion formt einen unübersehbaren, rund 26 Meter hohen Turm. Seit September letzten Jahres ist der Zauberhut in Knies Kinderzoo fertiggestellt. Bis die Spielstätte eröffnet wird, kann es allerdings noch dauern, denn aufgrund behördlicher Auflagen wegen der Pandemie war es noch nicht möglich, den Zauberhut zu nutzen. Umso spannender ist der exklusive Einblick, den die Verantwortlichen von der Ghisleni Partner AG der Redaktion des Magazins «First» bei einem Rundgang durch die Manege und hinter die Kulissen gewährten.
«Alle Beteiligten hatten es sich zum Ziel gesetzt, ein Bauwerk für fantastische Momente zu kreieren», sagt Stefano Ghisleni. Er steht mitten in der Arena unter dem Holztragwerk, das sich wie ein Baldachin zur Turmspitze schwingt. «Das ist uns gelungen. Und wir sind stolz darauf, dass wir den Entwurf nahezu identisch umsetzen konnten», führt der Architekt weiter aus. Was sich heute vom Entwurf unterscheidet, das sind nur Details: blaue statt rote Vorhänge, matte statt glänzende Dachschuppen. Als Generalplaner stehe man immer vor einer besonderen Herausforderung: «Es geht darum, eine spezielle Konstruktion zu entwickeln, die langlebig ist und ohne dass dabei das Design und die Idee der Architekten verloren gehen.»
Zirkuszelt im Schuppenkleid
Der Entwurf, der an ein luftiges Zirkuszelt erinnert, stammt von Carlos Martinez Architekten. Die Dachform des Zauberhuts ist «von einem Tuch abgeleitet, das wie von Zauberhand aufgehoben wurde, um das Darunterliegende zu offenbaren», beschreiben die Architekten ihre Idee. Dabei kommt das Schalenfaltwerk mit Schwung und einer Leichtigkeit daher, die kaum ein anderer Werkstoff so gut schafft wie Holz. Das verleiht dem Bau eine gewisse Verspieltheit, die ideal in das Umfeld eines Zoos passt. Die unregelmässig geformten und verschiedenfarbigen Dachschuppen aus Zink sind an der Spitze in einem hellen Silberton gehalten. Richtung Traufe verliert sich das Silber mehr und mehr und wandelt sich in eine lebendige Dachhaut, gesprenkelt mit blauen und dunkelgrauen Schuppen.
Multifunktionales Raumkonzept
Die geschwungene, rotationssymmetrische Dachform mit ihrem zentralen Hochpunkt ergab sich aus den verschiedenen Anforderungen an den Zauberhut. Gewünscht waren ein Gebäude mit einem möglichst kleinen, zu beheizenden Volumen, ein frei überspannter Grundriss und eine Gebäudehöhe, die für die Trapezkünstler Kunststücke in der Luft ermöglicht. Das Objekt mit seiner 1200 Quadratmeter grossen Grundfläche besticht durch ein multifunktionales Konzept: Für Vorführungen oder Konzerte kann in der Arena eine hydraulische Bühne aus dem Boden heraufgefahren werden. Flexibel einsetzbar ist auch die sechsstufige Manegetribüne, auf der bis zu 500 Besucherinnen und Besucher Platz finden. Wird sie elektrisch eingefahren, eignet sich die dann ebene Fläche mit einer Bankettbestuhlung für Feste und Anlässe mit bis zu 400 Personen. Die entsprechende Infrastruktur bieten die Nebenräume auf der Nordseite des Bauwerks mit Gastroküche, Künstlergarderobe, Lager und Sanitäranlage. Der Zugang liegt versteckt hinter einem der schweren, blauen Vorhänge. Einblick in die Arena gibt ein kreisrundes Fenster. Künstler können von hier aus das Treiben in der Manege beobachten, bevor sie sich für ihren Auftritt parat machen.
Im Vergleich zu einem klassischen Zirkuszelt auf vier Mittelstützen konnte die statische Höhe des Holzschalentragwerks durch die Auffaltung einzelner Schalenelemente erhöht werden. Damit sind die beiden Druckringe aus Holz und der Betonring zur Stabilisierung der fünf Zentimeter dünnen, tragenden Diagonalschalungen für das stützenfreie Dach ausreichend. Die Holzdruckringe sind in 11 und in 18 Metern Höhe angebracht. Die gesamte Dachkonstruktion lagert an zwölf Kehltiefpunkten auf Nischen im Betonzugring auf.
Bauen zwischen Tier, Mensch und See
Es gibt sie, die unkomplizierten Bauparzellen. Knies Kinderzoo gehört nicht unbedingt dazu. Allein schon die Lage – zwischen See und Naturschutzgebiet auf der einen Seite und Wohngebiet auf der anderen Seite – birgt besondere Herausforderungen. Zum Beispiel für den Tiefbau, der aufgrund der Seenähe und eines höheren Wasserdrucks mit einem schwierigen Baugrund zu rechnen hat.
Wenn dann noch bei laufendem Betrieb gebaut wird, kommen in einem zoologischen Garten weitere besondere Aufgaben hinzu: zum Beispiel der Schutz der im Zoo lebenden Tiere vor Lärmemissionen. Tanja Ganic, Projektleiterin bei der Ghisleni Partner AG, erinnert sich: «Im Baualltag bedeutet das ganz klar: Pausen machen. Zum Beispiel während der Fütterungszeiten.» Stillstand hiess es auch immer dann, wenn sich die Elefantenherde auf ihrer täglichen Wanderschaft an der Baustelle vorbeibewegte. «Keiner will, dass eine Gruppe Elefanten unruhig wird», ergänzt Ganic. Kein leichtes Bauvorhaben, das eine gute Gesamtplanung und durchdachte Koordination aller Beteiligten erfordert. Bei der Ghisleni Partner AG liefen deshalb im Rapperswiler Büro alle Fäden zusammen: von der detaillierten 3D-Planung über die Koordination der Fachplaner und Arbeiten bis hin zum Überblick über Termine und Kosten.
Der Zauberhut ist das Produkt intensiver interdisziplinärer Zusammenarbeit. Vom Wettbewerbsentwurf bis zur Bauvollendung begleitete das Ingenieurbüro Pirmin Jung Schweiz AG das Projekt. Und arbeitete dabei eng mit jenem Unternehmen zusammen, dem der Ruf in Sachen Holzbau in Freiform vorauseilt: mit der Blumer-Lehmann AG aus Gossau (SG). Die Firma hat weltweit schon einige spektakuläre Freiformobjekte in Holz realisiert.
«Mit Beton ist das nicht machbar»
«Es war von Anfang an gesetzt, dass wir mit Holz bauen werden», erklärt Generalplaner Ghisleni. «Einmal sicher aufgrund der hohen Effizienz, die ein vorgefertigter Holzbau mit seiner kurzen Bau- und Montagezeiten garantiert. Und auch im Hinblick auf die Form, die mit Beton so nicht machbar ist. Hinzu kommt, dass ein Holzdach eine gewisse Behaglichkeit ausstrahlt, die wir in einem Bau, wie es der Zauberhut ist, brauchen.» Und tatsächlich: Viel Zeit hatten Ghisleni und Co. nicht. Nach einer intensiven Planung startete die Bauphase mit dem Rückbau des «Otariums» im Oktober 2019. Elf Monate später sollte schon die Schlüsselübergabe erfolgen.
Das Tragwerk als Holzfaltwerk, zusammengehalten vom Betonring und von den Holzdruckringen, macht den Aufbau dieser speziell ausgearbeiteten Dachgeometrie möglich. Dabei ist das Holz fast ausschliesslich auf Normalkraft belastet, wo es leistungsfähig ist und bei geringem Eigengewicht seine Stärken entfalten kann.
Die streng rotationssymmetrische Form ohne Störzonen und Sonderbereiche ermöglichte zudem eine wirtschaftliche Produktion von zwölf grundlegend gleichen und zwölf gespiegelten Dachelementen. Für eine noch effizientere Bauweise sind die Bauteile im Grundriss alle linear, sodass keine aufwendig biaxial verdreht und tordierten Brettschichthölzer verklebt werden mussten.
Der Schallschutz spielt eine wichtige Rolle, um die Quartierbewohner und die Tiere im Zoo vor Lärmemissionen zu schützen. So ist der neue Zauberhut anders als sein Vorgängerbau geschlossen, wobei die mit Schallschutzfenstern versehene Fassade geöffnet werden kann. Das Schalenfaltwerk ist innen vollständig mit Akustikpaneelen verkleidet: Die Blumer-Lehmann AG installierte die 450 Elemente aus in Form gebogenen und mit der idealen Lochung versehenen Dreischichtplatten und unterstützte den Baumeister bei den Schalungen der Innenwände. Dass bei der komplexen Konstruktion das Fichtenholz doch so simpel und naturnah zum Einsatz kam, darauf sind die Ingenieure von der Pirmin Jung Schweiz AG besonders stolz, wie sie auf Nachfrage mitteilten: «Gebaut wurde hier mit einer traditionellen, einfachen und 24 Millimeter starken Holzschalung, die händisch in Form gebogen und mit gewöhnlichen Nägeln befestigt wurde.» Als Absorber dienen die tiefblauen Vorhänge vor den Sichtbetoninnenwänden der grossflächigen Fensterfassade.
Der energieeffiziente Holzbau wird durch ein ausgeklügeltes Energiekonzept abgerundet, das in der Lüftungsanlage flexibel auf mehr als 20 Nutzungsszenarien angepasst werden kann. Daneben setzt der Neubau auf Fernwärme sowie die Aufbereitung von Seewasser.
Ein Zeichen von Mut und Vision
Eine zoologische Anlage ist dem Wandel unterworfen, wie auch die Gesellschaft und die Interessen der Menschen, die einen Zoo besuchen. Knies Kinderzoo öffnete 1966 seine Pforten. Seine jüngste Neuerung im architektonischen Bereich ist der Zauberhut; ein Symbol von Mut und Vision. Mit dem Neubau verabschiedeten sich die Betreiber vom Vorgängerbau, dem Otarium. Und damit auch von der Seelöwen-Arena und den Vorführungen. Die Tiere verliessen per Ende Oktober 2019 Knies Kinderzoo. knieskinderzoo.ch, carlosmartinez.ch
Pirmin Jung Schweiz AG
Das Ingenieurbüro war vom Wettbewerbsentwurf bis zur Bauvollendung beim Projekt involviert. Zu den Verantwortungsbereichen zählten die Tragwerksplanung, die Bauphysik und der Brandschutz. Die Ingenieure unterstützten die Architekten und Generalplaner beim Tragwerksentwurf, bei der Geometrieoptimierung und bei der Konzeption der Materialschnittstellen von Holz zu Beton. Sie erarbeiteten in enger Zusammenarbeit mit der Blumer-Lehmann AG die Konstruktionsmöglichkeiten sowie den Montagevorgang bis zur Umsetzung. pirminjung.ch
Blumer-Lehmann AG
Das Unternehmen aus Gossau (SG) ist spezialisiert auf Freiformen in Holz. Beim Zauberhut war die Blumer-Lehmann AG unter anderem an der Vorplanung, der Holzbauplanung des Tragwerks und der Innenverkleidung, an der Detaillierung sowie der 3D-Modellierung beteiligt, produzierte die Holzbauelemente vor und führte schliesslich die Aufrichte und Montage des Tragwerks und der Akustik-Innenverkleidung aus.
blumer-lehmann.ch
Das Projekt – die Fakten
Objekt: Knies Zauberhut, Ersatzneubau mit einem 25,6 Meter hohen Turm
Standort: Rapperswil (SG)
Fertigstellung: 2020
Planungszeit: 2017 – 2018
Bauzeit: Oktober 2019 bis September 2020
Bauherrschaft: Gebrüder Knie Schweizer National-Circus AG, Rapperswil
Architektur: Carlos Martinez Architekten AG, Berneck (SG)
Generalplaner: Ghisleni Partner AG, Rapperswil
Holzbauingenieur, Bauphysik und Brandschutz: Pirmin Jung Schweiz AG, Rain (LU)
Holzbau (Planung und Umsetzung) sowie Planung Fassade: Blumer-Lehmann AG, Gossau (SG)
Gebäudevolumen (SIA 416): 8700 m3
Nettogeschossfläche (SIA 416): 1200 m2
Holz: insgesamt 224 m3 Fichte/Tanne aus der Schweiz und aus Österreich; davon 180 m3 für das Tragwerk (Träger, Schalung und Dreischichtplatten) und 44 m3 für die Innenverkleidung (Dreischichtplatten für die Unterkonstruktion und Beplankung sowie Massivholz)
Ghisleni Partner AG
Vom Wettbewerb bis zur Umsetzung begleitete die Ghisleni Partner AG das Projekt Zauberhut. Der Generalplaner war für Knies Kinderzoo in Rapperswil bereits in der Vergangenheit tätig – beim Bau des Elefantenparks und des Himmapan-Restaurants. Die Ghisleni Partner AG betreut und realisiert seit über 25 Jahren hoch anspruchsvolle und herausfordernde Bauprojekte. Die Firma beschäftigt über 50 Mitarbeitende an den Standorten Rapperswil, St. Gallen, Zug und Zürich.
ghisleni.ch