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Urban mining: Nichts für Routiniers

Einfach und rückbaufähig zu bauen nach dem Prinzip «Urban Mining» – das sollte im Sinne der Nachhaltigkeit das Gebot der Stunde sein. Doch für Planer bedeutet das einen erheblichen Mehraufwand, und Bauherrschaften müssen dafür meist deutlich tiefer in die Tasche greifen. Wer trotzdem so baut, geht mit gutem Beispiel voran. Ein Exempel aus Basel.

Text Susanne Lieber | Fotos Rasmus Norlander | Pläne Lukas Raeber Architektur

 

W?ohnungsmangel. Überall. Auch in Basel wird nach jeder Möglichkeit gesucht, Wohnraum zu schaffen. Damit wächst auch der Druck auf so manchen Handwerksbetrieb, der sich (noch) in Innenstadtlage befindet. Viele Werkstätten wurden bereits in die Agglomeration verdrängt, um Platz zu machen für teuren Wohnraum. Auch Felix und Sonja Jäggi haben einen Werkstattbetrieb in Basel – im Matthäusquartier, also mittendrin. Sorgen um eine Verdrängung müssen sie sich trotzdem nicht machen, denn die Spenglerei gehört ihnen selbst.


Rückbaufähiger Holzelementbau

Ursprünglich war das Gebäude nur eingeschossig, doch im letzten Jahr wurde aufgestockt. Nun stapeln sich vier weitere Geschosse darüber, genauer gesagt: acht Wohnungen in Holzelementbauweise – jeweils zwischen 37,5 und 47,5 Quadratmetern gross. Es sollten keine Luxuswohnungen für Gutbetuchte entstehen, sondern kleine Einheiten, die erschwinglich sind. Und die Werkstatt im Sockelgeschoss? Sollte unbedingt bleiben! «Es war ein bewusster Entscheid, mit dem Betrieb nicht umzuziehen, denn die Speng­lerei schätzt die Nähe zu ihren Kunden in der Stadt», erklärt Architekt Lukas Raeber.

Für die Aufstockung schwebten der Bauherrschaft, Familie Jäggi, zunächst gestapelte Schiffscontainer vor – etwas Einfaches, an dem auch weitergebaut werden kann. Bloss kein High End, lautete die Devise, denn das Gebäude sollte später rückbaufähig sein. Statt Schiffscontainer bilden nun vorgefertigte und lediglich verschraubte Holzelemente die Tragstruktur.

Urban Mining
Ganz im Sinne des Prinzips «Urban Mining» wurden möglichst wenig Bauteile miteinander verklebt oder dauerhaft verbunden, sodass die Materialien sortenrein bleiben und später als Sekundärrohstoffe nutzbar sind. So kamen beispielsweise Brettstapeldecken mit unbehandelter Oberfläche zum Einsatz, bei denen die einzelnen Holzteile nur mit Buchendübeln verbunden sind. Und anstelle eines mehrschichtig aufgebauten

Fertigparketts wurden geschraubte Vollholzdielen
verlegt. Bei den Elektro- und Heizungsinstallationen setzten Bauherrschaft und Architekt auf simple und wartungsarme Aufputz­lösungen. «Ist etwas zu reparieren oder auszu­tauschen, müssen keine Wände aufgerissen werden», so der Basler Architekt. Er hat schon häufiger mit der Spenglerei zusammengearbeitet und resümiert begeistert: «Familie Jäggi war bei der Projektplanung sehr offen für neue Ideen und unkonventionelle Konstruktionslösungen, die das zirkuläre Bauen eben mal erfordert. Wir haben zusammen sehr viel experimentiert und daraus gelernt.»

Jede Idee konnte allerdings nicht umgesetzt werden. Manches scheiterte schlichtweg aufgrund behördlicher Auflagen und Normen. Jenseits gebauter Routine ist es eben schwer mit Bürokratie und Gesetzen. Beispiel Decken: Eigentlich wurde hier auf Brettstapeldecken mit einer Beschwerung aus Stampflehm gesetzt – und das Ganze anhand von Mock-ups getestet. Schallschutznormen machten dem Vorhaben dennoch einen Strich durch die Rechnung. Um die vorgegebenen Trittschallwerte zwischen den Wohnungen zu erreichen, brauchte es schlichtweg mehr Masse. Am Ende wurde es ein Brettstapel­deckenaufbau mit Kalksplittschüttung.

Auch bei den Wänden ging man Kompromisse ein: Anfangs gab es den Plan, die Fermacell-Platten für die Wände zu verschrauben, damit später auch alles wieder leicht demontierbar ist. Aber damit wurden die Brandschutzvorschriften und die gewünschten Verarbeitungsmerkmale nicht erfüllt. Schluss­endlich wurden die Platten mit Klammern befestigt, was leider nicht der Grundidee der einfachen Rückbaubarkeit entspricht.


Experimentierfreudigkeit

Wie komplex und schwierig das Planen und Bauen eines Wohngebäudes im Sinne des
Urban Mining ist, zeigte sich in vielen Bereichen, denn mit Standardlösungen kommt man nicht weit. «Im Vergleich zu anderen Projekten ist der Planungsaufwand hier momentan noch sehr hoch. Vor allem, was die Verbindungsmittel zwischen den einzelnen Bauteilen angeht, die für den Rückbau zugänglich sein müssen», erklärt David Lenzen (siehe auch S.21), Holzbauingenieur und Mitglied der Geschäftsleitung des beteiligten Holzbauunternehmens Stamm Bau AG in Arlesheim (BL).

Dort, wo Metall zum Einsatz kam und auf die Expertise der Spenglerei zurückgegriffen werden konnte, wurde besonders viel getüftelt und ausprobiert. Das Bad besteht beispielsweise komplett aus Chromstahlplatten, die als hinterlüftete Elemente an der Wand lediglich eingehängt sind. Fugendichtungen gibt es nicht. Dafür nimmt die Konstruktion entsprechend etwas mehr Platz in Anspruch. Doch das war der Bauherrschaft die konsequente Haltung, das Material sortenrein zu verwenden, allemal wert. Selbst der Spiegel besteht aus reinem Chromstahl, wenngleich auf Hochglanz poliert. Bei genauer Betrachtung lassen sich – im Vergleich zu herkömmlichen Glasspiegeln – leichte Wellen erkennen.

Um die Schallübertragung zwischen Metall und Wänden zu überprüfen, wurde für das Bad ebenfalls extra ein Mock-up gebaut. Natürlich in der eigenen Werkstatt, die während des gesamten Bauprozesses in Betrieb geblieben ist. Entsprechend konnte so vieles direkt vor Ort gefertigt und montiert werden, zum Beispiel die Fassadenelemente aus unbehandeltem Aluminium. Oder das Fallrohr, das aus unterschiedlichen Restrohren zusammengefügt ist. Ein in verschiedenen Metallfarben schimmerndes Zeichen, dass dieses Bauprojekt kein Gewöhnliches ist.


Mit gutem Beispiel voran

Bis zum Jahr 2037 will Basel klimaneutral sein. Da das Baugewerbe verantwortlich ist für einen Grossteil der CO2-Emissionen, muss sich auf diesem Sektor noch viel tun. Einfache und rückbaufähige Gebäudekonstruktionen sind deshalb ein wichtiger Schlüssel, um das gesteckte Ziel erreichen zu können. «Wenn man so baut, wie wir es hier getan haben, ist das äusserst aufwändig und komplex. Alles ist überreglementiert. Viele Vorschriften müssten dringend angepasst werden, um solche Projekte zügig und günstig umsetzen zu können», so das Fazit von Lukas Raeber.
lukasraeber.com, stamm-bau.ch            

Buchtipp zum Thema: «Bauteile wiederverwenden – ein Kompendium zum zirkulären Bauen», Verlag Park Books, 2021, ISBN 978-3-03860-259-0. park-books.com

Lukas Raeber Architektur

Architekt Lukas Raeber (*1984) studierte an der ETH in Zürich und absolvierte jeweils ein Austauschsemester an der Accademia di Architettura in Mendrisio und an der University of Tokyo. Bevor er sich selbständig machte, war er unter anderem bei Frank Gehry in Los Angeles und bei Diller Scofidio + Renfro in New York tätig. Von 2009 bis 2012 (Gründung des Ateliers Reuter Raeber) unterrichtete er für Prof. Marc Angélil am Lehrstuhl für Städtebau und Entwurf an der ETH in Zürich. In seinem Basler Büro (seit 2017: Lukas Raeber Architektur) sind derzeit drei Mitarbeitende tätig. lukasraeber.com


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Aufstockung mit 8 Kleinwohnungen über Werkstatt (Spenglerei)
Standort: Basel
Bauherrschaft: Sonja und Felix Jäggi, Basel
Fertigstellung: 2022
Gesamtfläche (SIA 416): 665 m2
Gesamtvolumen (SIA 416): 1995 m3
Architektur: Lukas Raeber Architektur, Basel (Projektleitung: Flavio Thommen)
Holzbauingenieur / Brandschutz: Stamm Bau AG, Arlesheim (BL); (Projektleitung: Mike Villard)Holzbau: Stamm Bau AG, Arlesheim
Holzkonstruktion: vorgefertigte Holzelemente aus Fichte (Brettstapeldecken)
Spenglerarbeiten: Jäggi Vollmer GmbH, Basel
Besonderheiten: geschraubter, rückbaufähiger Holzbau (Urban Mining)

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