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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

4/2022 Für alle gemacht

Stil.Form

Mischwaldwerk

Acht verschiedene Baumarten wurden für den neuen Aussichtsturm im Hardwald verbaut. Acht Baumarten, die dort wachsen und die Vielfalt des Mischwalds im Zürcher Naherholungsgebiet widerspiegeln.

Text Susanne Lieber | Fotos Ladina Bischof | Pläne Luna Productions

Wie ein abstrahierter mächtiger Baum, dem die Krone abhandengekommen ist, steht er da. Zwischen Fichten und Föhren, Eschen und Eichen. Genau 41,5 Meter ragt der Turm über dem Waldboden empor und krallt sich mit 16 Mikropfählen im Erdreich fest. So, wie es ein Baum mit seinen Wurzeln tut.

Seit Juni kann der Aussichtturm im Forst­revier Hardwald «erklettert» werden – von Wanderern, Joggern, Hündelern und all jenen, die des Waldwegs kommen. Nördlich von Zürich gelegen – zwischen den Gemeinden Bassersdorf, Dietlikon, Wallisellen, Opfikon und Kloten – umfasst das leicht hügelige Nah­erholungsgebiet rund 920 Hektaren Wald. Und der hat einiges zu bieten: Kletterpark, Naturlehrpfad, Grillstellen, Waldhütten. Und neuerdings auch einen Aussichtsturm. Wer dort ganz hinauf will, sollte gut zu Fuss sein: Erst nach 210 Stufen ist die oberste der vier Aussichtsplattformen erreicht.

Räumliches Fachwerk
Nähert man sich dem Bau, entpuppt sich dieser als komplexe Konstruktion: Die Grundstruktur besteht aus vier gleichen und übereinanderliegenden Plattformen in Rautenform. Jede Plattform setzt sich zusammen aus zwei gleichseitigen Dreiecken, die eine biegesteife Verbindung eingehen. Die Plattformen sind jeweils um 60 Grad zueinander verdreht, wobei die vier Eckpunkte von der unteren Plattform jeweils mit zwei Eckpunkten der darüberliegenden Plattform verbunden sind. Dadurch entstehen auch in der Vertikalen dreieckige Flächen, die den Turm aussteifen und somit statisch sichern.

Entworfen wurde das hölzerne Konstrukt, das sich dynamisch gen Himmel türmt und von jeder Seite anders in Erscheinung tritt, vom Solothurner Architekturbüro Luna Productions. Im Jahr 2014 von Nadja und Lukas Frei gegründet, konnte sich das Büro beim entsprechenden Projektwettbewerb gegen 42 andere Teams durchsetzen. Im Jurybericht hiess es: «Der Turm behauptet sich mit einer eigenständigen Form und wird zur unverwechselbaren Skulptur, die auch aus Distanz zu erkennen ist. Er bietet nicht nur attraktive Ausblicke, sondern schafft auch Räume, die einen willkommenen Kontrast zur Weite des Waldes bilden.»

Für die Umsetzung des Entwurfs zeichnete die Frischknecht Holzbau-Team AG verantwortlich. Der Betrieb befindet sich in Kloten, also nur wenige Kilometer von der Baustelle entfernt. Um das Bauvorhaben nicht nur zügig, sondern auch kostenoptimiert umzusetzen, wurde der Turm in den Werkhallen des Holzbauunternehmens weitestgehend vorgefertigt. Sprich: Das Holztragwerk wurde abgebunden und teilweise schon vormontiert an die Baustelle geliefert. Vor Ort ist die Holzkonstruktion dann geschossweise hochgezogen worden, indem die vier baugleichen und zehn Meter hohen Segmente mittels Teleskopkran übereinandergestapelt wurden. Jedes einzelne Segment bestand hierbei aus Tragwerk, Treppe, Podest und Plattform.

Um den Bau vor der Witterung zu schützen und die Lebensdauer zu erhöhen, sieht der Entwurf eine halboffene Fassadenlattung vor. Je nach Blickwinkel des Betrachters schottet sich der Bau damit ab oder lässt Ein- und Ausblicke zu. Dort, wo Fassadenflächen einen Überhang bilden und deshalb regengeschützt sind, sorgen sechs Meter hohe Öffnungen für freie Sicht über die Zürcher Agglomeration und den nahe gelegenen Flughafen.


Baumartenvielfalt

Für jedes Bauteil wurde eine entsprechend geeignete Holzart ausgewählt: Fichte/Tanne (Tragwerk; 301,6 m3), Föhre (Fassade; 38 m3), Esche (Treppe und drei Plattformen; 35 m3), Lärche (oberste Plattform; 2,7 m3), Douglasie (Simse; 2,2 m3), Akazie (Unterkonstruktion der obersten Plattform; 0,3 m3) und Eiche für die Möblierung in der Umgebung. Das gesamte Holz – summa summarum knapp 380 Kubikmeter – stammt hierbei aus dem Hardwald selbst.

Um dem Thema Nachhaltigkeit Rechnung zu tragen, wurde aber nicht nur auf lokale Rohstoffe und Unternehmen gesetzt, sondern auch auf eine umweltverträgliche Bau- und Verarbeitungsweise: Das Holz ist unbehandelt und – mit Ausnahme des Tragwerks – nicht verleimt, sondern reversibel verschraubt. So lassen sich beispielsweise einzelne Bretter an der Fassade problemlos austauschen.

Beim Fundament handelt es sich hierbei um ein Punktfundament. Was bedeutet, dass der Waldboden unter dem Turm nicht grossflächig versiegelt wurde und kein riesiger Aushub vonnöten war. Stattdessen führen 16 Mikropfähle aus Stahlbeton, die insgesamt eine Bodenfläche von lediglich 1,8 Quadratmetern in Anspruch nehmen, zwanzig Meter tief ins Erdreich. Dort sorgen sie für einen sicheren Stand – so, wie es die Wurzeln eines Baumes tun. holzbau-team.com

Luna Productions

Das Architekturbüro in Deitingen (SO) wurde 2014 von Nadja Frei (*1988) und Lukas Frei (*1989) gegründet. Beide studierten an der Fachhochschule Burgdorf, Lukas Frei zudem an der ETH Zürich. Das Portfolio reicht vom Mehrfamilienhaus bis zur Kunstinstallation im öffentlichen Raum. Derzeit umfasst das Team insgesamt elf Mitarbeitende. luna-productions.ch


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Aussichtsturm Hardwald
Standort: Herrenholz, Dietlikon (ZH)
Bauherrschaft: Anrainergemeinden Hardwald – Bassersdorf, Dietlikon,
Wallisellen, Opfikon und Kloten (alle ZH)
Bauzeit: November bis Dezember 2021 (Fundamente), März bis Juni 2022 (Holzbau)
Architektur: Luna Productions, Deitingen (SO)
Holzbauingenieur: Holzing Maeder GmbH, Evilard (BE)
Holzbau: Frischknecht Holzbau-Team AG, Kloten (ZH)
Schnittholz: Raschle Holz AG, Nürensdorf (ZH)
Leimholz: Hüsser Holzleimbau AG, Bremgarten (AG)
Holzmenge: 380 m3
Holz (zu 100% Holz aus dem Hardwald): Fichte/Tanne, Föhre, Esche, Akazie,
Lärche, Douglasie, Eiche
Verankerung: 16 Mikropfähle (je 20 m)
Gesamthöhe des Turms: 41,5 m
Baukosten: CHF 1,05 Mio.

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