01/2015 Klein, aber fein
Lebens.raum
Mehr als eine Verpflegungsstation
Spricht man von einem Raum, so denkt die Mehrheit zuerst wohl nur an ein Zimmer. Ganz anders in der Architektur, wo Definition und formale Gestaltung von Raum im Mittelpunkt steht. Entsprechend ist die quattro Bar auf der Corviglia in St. Moritz nicht einfach nur ein Gebäude. Sie ist Teil einer grossräumigen Vision.
Die Sonne ist gerade aufgegangen. Der Blick schweift in die Runde, man holt Luft, stösst sich ab und geniesst die ersten Schwünge auf dem «weissen Teppich». Als Skifahrer oder Snowboarder kennt man das Gefühl, das sich einstellt, wenn man als einer der Ersten eine unberührte Piste hinunterfährt. Wer sich in St. Moritz diesem Vergnügen hingeben möchte, findet auf dem Hausberg des Skiortes, der Corviglia, ideale Bedingungen. Nicht nur zum Skifahren, sondern auch, um zwischendurch eine wohlverdiente Pause einzulegen.
Teil eines grossen Ganzen
Egal, ob man gerade erst mit der Bahn aus dem Dorf hochgekommen ist oder schon zahlreiche Abfahrten hinter sich hat: Wer auf 2486 Meter über dem Meer ankommt, dem sticht auf der Piazza Corviglia ein Gebäude aus Holz und Glas ins Auge. Beim genauen Hinschauen erkennt man, dass die Holzbalken vor den Glasfronten die Buchstaben «W» und «M» formen. Gebaut wurde die quattro Bar unter anderem im Zusammenhang mit den Ski-Weltmeisterschaften 2017, die zum fünften Mal in St. Moritz stattfinden werden. «Für sich isoliert betrachtet, handelt es sich um einen kleinräumigen Bau, eine schmucke Bar in einem Skigebiet. Sie wurde aber als ein Schritt in der Umsetzung des Masterplans Winterolymp Corviglia und als Vorbote für die alpine Ski-WM 2017 konzipiert und gebaut», führt Philipp Schroth vom Kreativbüro Steiner Sarnen Schweiz aus. Als verantwortlicher Projektleiter hat der Architekt die Entwicklung des Masterplans als auch den Bau der Bar begleitet.
Auftraggeber des visionären Winterolymps Corviglia sind die Gemeinde St. Moritz und die Engadin St. Moritz Mountains AG. Gemeinsam suchten sie nach Möglichkeiten, den Wintersportort auch im Sommer zu beleben, und nach Ideen, die das Erlebnis St. Moritz noch unverwechselbarer machen. Entstanden ist ein Konzept, das sowohl das Dorf als auch den gesamten Berg einschliesst. «Wir bezeichnen uns selbst als Szenografen, das heisst, unser Ziel ist die Inszenierung des Raumes. Für den Kreativprozess bei diesem Auftrag haben wir diverse Elemente einbezogen. Dazu gehörten zum Beispiel die Geschichte des Ortes als Geburtsort des Wintersports, die heutigen baulichen Gegebenheiten oder das gewünschte Image. So entstand ein Gesamtkonzept, das in den Gästen Emotionen wecken soll, die sie immer wieder erleben möchten. Und deshalb wiederkommen», erklärt Philipp Schroth die Zusammenhänge.
Die vorgeschlagenen Lösungsansätze sind so angelegt, dass sie auch für sich alleine funktionieren. Denn aufgrund der räumlichen beziehungsweise geografischen Verteilung ist für den Gast das Konzept nicht offensichtlich. Er nimmt einzelne Elemente wahr, die sich in Form von Erlebnissen zu einem Ganzen zusammenfügen. Als ein Beispiel nennt Schroth die Fahrt auf den Berg, die für viele Gäste im Zentrum von St. Moritz beginnt. Hier ist die Talstation der Corviglia-Bahn aber gar nicht sichtbar, weshalb Steiner Sarnen Schweiz im Masterplan eine Passerelle vom Parkhaus zur Talstation vorschlägt. Ein Leitsystem für den Gast gewissermassen, das statt Orientierungslosigkeit gleich von Anfang an ein positives Erlebnis schafft. Diese Vision ist noch Zukunftsmusik, während die Talstation bereits einem Facelift unterzogen wurde. Letzteres, damit sie St. Moritz «würdig» ist. Das Image vom mondänen Skiort soll sich in der sonst funktional gehaltenen Bergbahn widerspiegeln. Hierfür wurde die Talstation mit einer neuen Fassade versehen und der Innenraum optisch mit Tapeten und viel Holz saniert. Eine Massnahme, die noch nicht zwangsläufig mehr Gäste bringt, die aber ein Wohlgefühl auslöst.
Holz führt immer zum Ergebnis
Wer früher auf der Corviglia aus der Bahn stieg, sah mitten auf dem Platz eine von Heineken gebrandete, in grün gehaltene Après-Ski-Bar. Zwar kein ungewöhnlicher Anblick in einem Skigebiet, den Szenografen von Steiner Sarnen Schweiz aber ein Dorn im Auge. «Im Winter verdeckt der Schnee vieles, wer allerdings im Sommer hierher kam, dem bot sich mit der geschlossenen Bar ein befremdender Anblick. Es entstand das Gefühl, man sei zur falschen Jahreszeit da. Darum unser Vorschlag, an anderer Stelle eine neue Bar zu bauen», erklärt Schroth die Entstehungsgeschichte der quattro Bar, die als bereits realisiertes Einzelelement ein Puzzleteil im Gesamtplan Winterolymp Corviglia ist.
Entworfen wurde sie als moderne Interpretation einer Alpenhütte, was sich auch auf die Materialien auswirkte. «Im Engadin dominiert historisch bedingt Stein die Bauweise. Aufgrund der Brände in vergangenen Zeiten kam Holz lediglich bei den Dächern zum Einsatz», erklärt Andri Freund, dessen Holzbauunternehmung beim Bau beteiligt war. Dennoch spielt Holz eine wichtige Rolle beim Bau auf der Corvilgia. Das aus Brettschichtholz gefertigte Tragwerk und das dreistufige Podest aus rohem Fichtenholz rahmen den langgestreckten Kubus mit den Glasfronten ein. So entstand zusammen mit dem handgeschlagenen Granit im Innern ein Gebäude, das trotz seiner markanten Andersartigkeit die Authentizität der Engadiner Architektur widerspiegelt. «Holz ist ein sehr vielfältiger Baustoff, der immer zum gewünschten Ergebnis führt. In der Bar sorgt es nicht nur optisch für Behaglichkeit. Der Kamin mit dem wärmenden Holzfeuer ist die optimale Ergänzung des Raumes», unterstreicht Architekt Schroth die Materialwahl.
Die grosszügigen Stufen des Holzpodestes erheben den Kubus nicht nur über das Gelände, sie ermöglichen bei Schnee einen einfachen Zugang zur Bar und laden zusammen mit der Terrasse dazu ein, den Panoramablick zu geniessen. Aber nicht nur den, wie Philipp Schroth sagt: «Beim Entwurf der Bar waren uns zwei Sachen wichtig. Wir wollten keinen Raum mit kleinen Fenstern, damit das Naturerlebnis nicht verloren geht. Und es geht hier ja auch ums Sehen und Gesehenwerden. Entsprechend waren die grossen Fensterfronten die logische Konsequenz.»
Egal ob man draussen oder in der Bar steht –man wirft automatisch einen Blick auf den überdimensionalen quattro-Schriftzug. Doch nicht nur die schiere Grösse erregt die Aufmerksamkeit. Die in die Rückwand eingelassenen Buchstaben enthalten scherenschnittartige, gestaffelte Kulissen. Diese erzählen einerseits die Geschichte von St. Moritz und andererseits die des Markenpartners Audi, dessen Sportcoupé der Bar ihren Namen gibt. Die Kooperation ist eine Win-win-Situation für alle Seiten. Die Bar wurde als Vorbote für die Ski-Weltmeisterschaft gebaut, und die Hinweise darauf finden sich nicht nur beim schräggestellten Holztragwerk. Auch die Decke der Bar ist voll mit dezenten WM-Logos. Da passt der Autohersteller, der auch die WM unterstützt, gut ins Gesamtbild.
Brandschutz wird noch einfacher
Während die Anforderungen an die Ästhetik hoch waren, hielten sich die sonstigen baulichen Vorgaben in Grenzen. Denn das Gebäude wird nur tagsüber genutzt, so dass es keine besonderen thermischen Anforderungen oder die Notwendigkeit für eine spezielle Dämmung gab. Lediglich den Gastronomiebetrieb mit warmer Küche galt es zu berücksichtigen. Auf Anforderungen wie den Brandschutz bei Holzbauten angesprochen, sagt Schroth: «Wir hatten einen Brandschutzexperten im Team, denn unser Bauleiter ist auch Brandschutzmeister. So war gewährleistet, dass alle Richtlinien erfüllt werden.» Auch Zimmermann Andri Freund unterstreicht, dass die Entwicklung im Brandschutz den Holzbau heute anderen Bauarten ebenbürtig macht und dass die seit diesem Jahr gültigen Vereinfachungen das Verhältnis von Aufwand und Wirkung optimieren werden.
Und obwohl die Bauweise keine grosse Herausforderung darstellte, war die Erstellung der quattro Bar aus verschiedenen Gründen kein alltägliches Projekt. Nach den Herausforderungen beim Bau gefragt, nennen Schroth und Freund sofort die kurze Bauzeit. Nur zehn Wochen hatten die involvierten Unternehmen Zeit, um das Gebäude zu errichten. Dass auch ein Helikopter zum Einsatz kam, findet Andri Freund nicht weiter aussergewöhnlich. «Die logistische Herausforderung, um in dieser Höhe zu bauen, ist natürlich eine andere als im Tal. Mensch und Material müssen effizient in unwegsamem Gelände auf den Berg gebracht werden. Hierfür waren Spezialfahrzeuge im Einsatz und der Helikopter unterstützte die Arbeiten, wenn die Strasse nicht genutzt werden konnte. Bei uns ist das aber eher normal», erklärt der Holzbauingenieur, der mit seinem Unternehmen im nahen Samedan angesiedelt ist.
Die Nähe zum Bauprojekt war auch für Steiner Sarnen Schweiz ein wichtiger Erfolgsfaktor für das Projekt. So wurde nicht nur mit Handwerkern aus der Region gebaut, zur Unterstützung wurde zusätzlich ein Bauleiter aus Celerina engagiert. «Auch wenn wir selbst öfters in St. Moritz waren, stand mit Res Schmid jederzeit ein Ansprechpartner vor Ort zur Verfügung», beschreibt Schroth die Vorzüge der regionalen Projektleitung und ergänzt: «Es war sehr hilfreich, dass wir uns bei allen Arbeiten auf Partner verlassen konnten, die lokal vernetzt sind.»
Dem Raum eine Identität geben
Während für den Nutzer ein Gebäude, dessen Räume und das Umfeld lediglich als Gebrauchsgegenstand erscheinen mögen, ist der architektonische Weg zu einer Gesamtkomposition, die einen nachhaltigen Eindruck und die gewünschten Emotionen hervorruft, mit vielen Überlegungen und Liebe zum Detail verbunden. Die Schritte, Raum im weitesten Sinne zu gestalten, fasst Schroth in drei Worten zusammen: Positionieren, Aufräumen und Inszenieren. Mit der Positionierung des geografischen Raums St. Moritz/Corviglia als Olymp des Wintersports wurde eine Vision, eine unverwechselbare Identität geschaffen. Strukturelle Bereinigungen wie die Sanierung der Talstation oder der Bau der quattro Bar sind erste Umsetzungsschritte, während bis zur Gesamtinszenierung mit neuen, zusätzlichen Gebäuden noch einige Zeit verstreichen wird.
Andri Freund, Freund Holzbau
Freund Holzbau plant und baut in moderner Holzbauweise, restauriert und ist im Bereich Brückenbau tätig. Der in Samedan ansässige Betrieb verfügt über Know-how im Elementbau als auch im Umgang mit Antikholz und -bau. Eigentümer Andri Freund ist Zimmermann und Holzbauingenieur. Er übernahm 1998 den Familienbetrieb. freund-holzbau.ch
Philipp Schroth, Steiner Sarnen Schweiz
Konzepter, Autoren, Innen-/Architekten, Regisseure, Fotografen, Designer, Illustratoren, Hochbauzeichner: Knapp 20 Festangestellte bilden den Kern des Teams von Steiner Sarnen Schweiz. Der Architekt Philipp Schroth arbeitet seit sieben Jahren beim Obwaldner Unternehmen, das auf die Branchen Tourismus, Industrie und Museen spezialisiert ist. steinersarnen.ch
Das Projekt – die Fakten und Zahlen
Ort: Corviglia, St. Moritz, Schweiz
Bauherr: Engadin St. Moritz Mountains AG
Markenpartner: Audi AG
Konzept, Architektur: Steiner Sarnen Schweiz AG
Innenarchitektur: Audi/Schmidhuber (D)
Bauleiter: Res Schmid, Celerina
Holzbauunternehmen: A. Freund Holzbau GmbH
Eröffnung: 13.12.2013
Fläche: 100 m2 innen, 140 m2 Terrasse