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1/2023 Zusammen stark

FOKUS.THEMA

Einmal ohne, bitte!

Holz ja, Leim nein. So lautete die Devise des Architekten Dominik Lenzin für sein Eigenheim im Kanton Aargau. Konsequent umgesetzt, entstand ein bauökologisches Zuhause, in dem er – im wahrsten Sinne des Wortes – durchatmen kann.

Text Susanne Lieber | Fotos Rasmus Norlander | Pläne Gautschi Lenzin Schenker Architekten AG

 

Kein Tröpfchen Leim sitzt hier im Wand- und Deckensystem. Stattdessen halten Dübel zusammen, was zusammengehört. Üblich ist das nicht. Normalerweise beinhalten Wand- und Deckenelemente leimhaltige Holzwerkstoffe. «Vor zwei Jahren, als wir das Haus entworfen haben, gab es gerade mal drei Schweizer Holzbauunternehmen, die dieses leimfreie Massivholzsystem anbieten konnten», erklärt Dominik Lenzin, Bauherr und Architekt in Personalunion. Zu einem dieser Unternehmen zählte die Küng Holzbau AG. Und so kam auch hier zusammen, was zusammengehört – Dominik Lenzin und der Holzbauspezialist aus Alpnach Dorf machten gemeinsame Sache. Das Resultat: ein modernes Architektenhaus, dem man seine «Öko-DNA» nicht ansieht. Dabei spielten beim Entwurf gerade baubiologische Aspekte eine wichtige Rolle – um nicht zu sagen, die entscheidende.


Zum Durchatmen schön

Der Wunsch des Bauherrn, gänzlich auf Klebstoffe zu verzichten, liegt nicht nur im Nachhaltigkeitsbewusstsein begründet, sondern geht darüber hinaus: «Ohne Leim gibt es keine sperrende Schicht, die Bauteile sind dadurch dampf­offen», erklärt er und ergänzt: «Das Raumklima ist einfach wunderbar.» Der Vorsatz, nur reines Naturmaterial zu verwenden, zieht sich wie ein roter Faden durchs Haus. Auch beim Innenausbau kommt dies zum Ausdruck. So wurde beispielsweise die astreiche Brettstapeldecke mit Deckleisten veredelt, die mittels Schwalbenschwanzverbindung lediglich aufgeschoben sind. «Die Lattung ergibt so ein deutlich ruhigeres Bild», schwärmt der Architekt und verweist dabei auf das konstruktive Miteinander mit dem Holzbauunternehmen. «Viele Details und Materialisierungen entstanden in enger Zusammenarbeit.»

Das leimfreie Massivholzsystem besteht aus Schweizer Weisstanne. Aus Mondholz, um genau zu sein. Auch bei der Fassadenschalung entschied sich der Architekt für das heimische Holz. Dafür musste er jedoch von seinem ursprünglichen Plan ablassen, die Weiss­­tanne durch Yakisugi widerstandfähiger zu machen. Bei dem traditionellen japanischen Verfahren wird die Holzoberfläche beflammt beziehungsweise angekohlt, wodurch sich die Zellstruktur so verdichtet, dass das Holz karbonisiert. So entsteht ein natürlicher Schutz gegen Feuchtigkeit, Fäulnis, Schimmel und Insekten. «Aber leider habe ich in der Schweiz niemanden gefunden, der einheimisches Holz nach den Regeln des Yakisugi bearbeitet. Stattdessen Holz aus dem Ausland zu importieren, wollte ich aber definitiv nicht. Darum entschied ich mich am Ende für einen Fassadenanstrich.»

Dass sich das Wohnhaus in Schwarz hüllen sollte, war beim Entwurf von Anfang an klar. Zum einen, um sich etwas gefälliger in Natur und Landschaft zu integrieren. Zum anderen, um ein unregelmässiges Vergrauen zu verhindern, was der geometrischen Gesamterscheinung zuträglich ist. Bei genauerer Betrachtung erkennt man aber dennoch feine Farb­unterschiede, was an der unterschiedlichen Oberflächenstruktur liegt – ein raffiniertes Spiel im Detail: Die Fassadenflächen rund um den Eingang wurden japanisch gehobelt, was bedeutet, das Holz ist stärker verdichtet. Mit dem Effekt, dass hier das Regenwasser besser abperlt. Der Rest der Fassade ist sägerau. Auch in den Innenräumen des Hauses findet sich dieser Oberflächenmix: Wände und Decken sind sägerau beschaffen, was für eine verbesserte Akustik sorgt. Japanisch gehobeltes Holz findet sich hingegen in der Küche und bei den Möbeln. Sämtliche Schreiner­arbeiten, zum Teil aus Esche, wurden ebenfalls von der Küng Holzbau AG ausgeführt. Auch hier alles leimfrei, versteht sich.

Um die Holzoberflächen möglichst lange vor dem Vergilben zu schützten, haben Architekt und Holzbauunternehmen abermals die Köpfe zusammengesteckt. Das Ergebnis der Tüftelei: Überall im Innenbereich wurde auf die Weiss­tanne Kalksinterwasser aufgetragen – eine stark alkalische, natürliche Flüssigkeit. Danach wurde das Holz leicht geseift. Ob das Experiment funktioniere, würde sich aber erst in Jahren zeigen, gibt der Architekt offenherzig zu.

Ungewöhnliches Raumkonzept
Der Bau setzt sich aus mehreren Volumen zusammen, die additiv ein dreigeschossiges Ganzes bilden. Obenauf sitzt ein Attikageschoss mit Küche und Essplatz. Zwei sich gegenüberliegende Terrassen erweitern hierbei den Raum. Die Glasfronten lassen sich mittels Wendetüren komplett öffnen und gewähren den besten Ausblick auf Wiese und Wald.

An den Stirnseiten des mittleren Geschosses haben die halbwüchsigen Kinder ihre Zimmer, der Bereich dazwischen dient als Wohnraum, der vielseitig bespielt und genutzt werden kann. Im Erdgeschoss befindet sich das Refugium der Eltern, und nebenan dockt die Garage an – ein konventioneller Holzständerbau mit Pfosten und Schalung.

Grenzenlos glücklich
«Typisch» ist das Gebäude in keinerlei Hinsicht – trotzt so manchem gängigen Klischee. Sei es bezüglich der leimfreien Bauart oder der Grundrissaufteilung wegen: Der schwar­ze Bau will kein Abziehbild konventioneller Wohnkonzepte sein. Und so ist es auch nicht erstaunlich, dass das rund 680 Quadratmeter grosse Grundstück nicht klar abgegrenzt ist. «Wir haben uns bewusst dazu entschieden, Wiese und Landwirtschaftszone bis ans Haus rankommen zu lassen. So ist die Weite und Grosszügigkeit der Landschaft erlebbar», erklärt der Architekt und Familienvater. Ob irgendwann doch noch ein Blumenbeet angelegt und Bäume gepflanzt werden, kann dennoch sein. Aber erst einmal will die Familie ihr neues Zuhause auf sich wirken lassen, ehe sie die nächsten Schritte geht. Und das bezieht sich nicht nur auf die Gartengestaltung, sondern auch, was die Möblierung angeht. Nur das Nötigste wurde zunächst mitgenommen, der Rest kommt, wenn jeder weiss, was er braucht.

Hier ist eben alles etwas anders, was das Ganze entsprechend spannend macht. Und das dürfte wohl auch der Grund sein, warum das Haus für gewisses Aufsehen sorgt. Dass Passanten vor dem Haus stehen bleiben und ungeniert fotografieren, damit hatte keiner der Bewohner gerechnet. Doch langsam haben sie sich daran gewöhnt.
kueng-holz.ch


Gautschi Lenzin Schenker Architekten AG

Nach ihrem Architekturstudium an der Fachhochschule Aargau in Windisch und Tätigkeiten in verschiedenen Büros gründeten Andreas Gautschi (*1976), Dominik Lenzin (*1975) und Philipp Schenker (*1976) im Jahr 2011 ein eigenes Architekturbüro in Aarau. Ihr Portfolio umfasst kleinere An- und Umbauten, Ein- und Mehr­familienhäuser, Geschäftsgebäude, Schulen und öffentliche Gebäude.
glsarch.ch


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Einfamilienhaus
Standort: Aarau
Bauherrschaft: Dominik Lenzin, Architekt
Fertigstellung: 2022
Geschossfläche (SIA 416): 335 m2
Gebäudevolumen (SIA 416): 1122 m3
Architektur: Gautschi Lenzin Schenker Architekten AG, Aarau (AG); Projektleitung: Dominik Lenzin
Holzbauingenieur: Konstruktiv GmbH Ingenieure und Planer, Gränichen (AG), Projektleitung: Ueli Lässer;
Küng Holzbau AG, Alpnach Dorf (OW)
Holzbau (Elementbau): Küng Holzbau AG, Alpnach Dorf; Projektleitung: Stefan Christen
Holzkonstruktion und Holz: leimfreies Massivholzsystem aus regionaler Weisstanne (Mondholz)
Innenausbau: Küng Holzbau AG, Alpnach Dorf
Holz (Innenausbau): Weisstanne und Esche, sägerau oder japanisch gehobelt
Schreinerarbeiten (Holzfenster): Hunziker Schreinerei AG, Schöftland (AG)

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