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Stand.punkt

«Eine Zimmermannslehre wie in der Schweiz ist in anderen europäischen Ländern kaum verbreitet»

Die Schweiz spielt eine führende Rolle im Holzbau – nicht nur innerhalb Europas, sondern weltweit. Ein Gespräch mit Pirmin Jung, Holzbau­­ingenieur und Mitglied des Lignum-Vorstandes, über den hiesigen Holzbau im Vergleich zu jenem in anderen Ländern.

Text Susanne Lieber | Foto zVg

 

Inwiefern unterscheidet sich der Holzbau in der Schweiz vom Holzbau in anderen europäischen Ländern?
Die Schweizer Holzbauer haben sich früh fit gemacht für vorgefertigte Holzbauten. Weltweit gibt es wohl kaum eine solche Dichte an Holzbauunternehmen, die die Vorfertigung und die Montage auf der Baustelle in einer solchen Qualität umsetzen können. Dabei wird der Holzrahmenbau mit dem Holzskelettbau kombiniert, was ressourceneffizient ist. Im Ausland wird hingegen vor allem mit Brettsperrholz gebaut. Die Wand- und Deckenelemente kommen quasi roh auf die Baustelle. Erst vor Ort werden Fenster, Dämmungen und Beplankungen montiert und Ausbauten fertiggestellt.

Auch in der Ausbildung gibt es markante Unterschiede, welche genau?

In der Schweiz haben wir dank der Berufslehre sehr gute Handwerker. Eine solche Lehre ist in den anderen europäischen Ländern kaum verbreitet. Ausserdem haben wir ein duales Bildungssystem: Ein gelernter Zimmermann kann über die Berufsmittelschule und die Fachhochschule Ingenieur werden – und sogar doktorieren und als Professor arbeiten. Dies stärkt die Berufslehre ungemein und wir haben in der Planung Leute sitzen, die schon selbst auf einer Baustelle waren und deshalb praxistaug­liche Lösungen entwickeln können. In der Schweiz werden übrigens schon seit 1986 Holzbauingenieure auf Fachhochschulniveau ausgebildet. Es wird ein umfassendes Wissen vermittelt, bei dem es um Tragwerksplanung, Statik und Konstruktion geht, aber auch um spezifische Eigenschaften des Holzes, um den Wald und die Holzindustrie.

Wie schätzen Sie die Entwicklung des Holzbaus in Europa ein?

Im weltweiten Vergleich ist der Holzbau in Euro­pa sicher führend, wobei hier die Schweiz klar den Takt angibt. Ich bin überzeugt, dass die Entwicklung künftig noch viel weiter geht und Holz als Roh-, Bau- und Werkstoff noch vielfältiger eingesetzt wird.

Wie könnte man den Holzbau in Europa noch weiter voranbringen?

Es braucht viel mehr Fachleute, die aus der Praxis kommen (Lehre als Zimmermann) – und Leute, die sich danach weiterbilden und ihr Wissen in die Lehre einbringen, damit praxisnah unterrichtet und geforscht werden kann. Es zeichnet sich bereits ab, dass vieles verkompliziert wird, insbesondere im Normen­bereich. Da werden Nachweisverfahren entwickelt, die in der Theorie sicher ihre Berechtigung haben, die aber nichts mit der Baurealität zu tun haben. Hier müssen wir versuchen, gegenzusteuern. Es benötigt eine Vernetzung der verschiedenen Bildungs- und Forschungsinstitute – und eine Offenheit untereinander. Es bringt nichts, wenn jede Hochschule zu ähnlichen Themen forscht. Hier braucht es bessere Absprachen und mehr Vertrauen zwischen den Institutionen. Zudem müssen wir uns überlegen, wie es uns gelingt, Handwerker, Ingenieure und Planer aus anderen Fachgebieten für den Holzbau zu begeistern. Denn ich bin überzeugt, dass zukünftig so viele Gebäude und Bauten in Holz realisiert werden, die von den Berufsleuten, die über den Holzweg in den Holzbau finden, nicht mehr alleine geplant und umgesetzt werden können.

Derzeit ist eines der grössten Holzbauprojekte der Welt in Planung: das Terminal des Zürcher Flughafens. Auch das Unternehmen Pirmin Jung ist involviert. Wie gestaltet sich die internationale Zusammenarbeit?

Die Arbeit ist spannend und bereichernd. Wir dürfen die Bauphysik und den gesamten Holzbau tragend gestalten. Unsere Arbeit umfasst dabei die Bereiche Konzeption, statische Bemessung, Submission, Unterstützung bei der Materialbeschaffung, Ausführungsplanung und Begleitung der Bauausführung – das Ganze in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro BIG und anderen Fachplanern. Speziell ist, dass die Hauptarbeiten im sogenannten Bigroom beim Flughafen Zürich-Kloten erledigt werden. Das heisst, dass die relevanten Planer die meiste Zeit zusammen im selben Büro verbringen und ihre Arbeit dort leisten.

Pirmin Jung

Nach seiner Zimmermannslehre bei Tschopp Holzbau in Hochdorf (LU) sammelte Pirmin Jung (*1968) zunächst Berufserfahrung an der Basis. Danach studierte er an der Berner Fachhochschule in Biel und diplomierte als Ingenieur FH/SIA Fachrichtung Holzbau. Im Jahr 1996 gründete er sein eigenes Ingenieurbüro für Holzbau, Bauphysik und Brandschutz in Sursee. Es folgten weitere Standorte in der Schweiz (Rain, Sargans, Thun, Frauenfeld) und in Deutschland (Remagen, Augsburg, Metzingen). Seit 2018 ist er Präsident der Lignum Holzwirtschaft Zentralschweiz.
pirminjung.ch

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