02/2014 Naturnah
Lebens.raum
Ein Kindertraum in Holz
In Berns Osten wächst derzeit ein neuer Stadtteil heran. Bis 2016 soll dort Wohnraum für tausend Menschen geschaffen werden. Ein Quartierhaus gibt es bereits. Der schmucke Holzbau beherbergt die Kindertagesstätte Bitzius sowie einen Gemeinschaftsraum für die Quartierbewohner.
Die Geschichte des Quartierhauses beginnt kurz nach der Jahrtausendwende. Die Burgergemeinde als Besitzerin der 86 000 Quadrat-meter grossen Brache zwischen Obstbergquartier und A6 hatte eine städtebauliche Vision: «Das Obstbergquartier sollte bis an die Autobahn A6 weitergestrickt werden», so der damalige verantwortliche Domänenverwalter bei der Burgergemeinde Bern, Andreas Lauterburg. «Auf keinen Fall durfte aber Schönberg Ost dereinst wie ein Retortenquartier wirken.» Ziel war demnach, einen eigenständig gewachsenen Stadtteil zu schaffen, der eine natürliche Fortsetzung der bestehenden Quartierstruktur darstellt und verschiedene Haustypen berücksichtigt.
Einzigartiges Vergabekonzept
Um dieses durchmischte, aber dennoch in sich stimmige Quartier zu erhalten, beauftragte die Grundeigentümerin 2002 die Berner Architekturbüros Büro B und Graber Pulver sowie den Architekten Hans Kollhoff damit, in einem Workshopverfahren das Bebauungskonzept für Schönberg Ost zu entwickeln. Aus dieser Zusammenarbeit und unter der Leitung des Stadtplanungsamtes entstand schliesslich der Quartierplan, der eine Bebauung mit freistehenden Mehrfamilienhäusern vorsah, die von unterschiedlichen Bauherrschaften zusammen mit ihren Architekten innerhalb vorgegebener Gestaltungssätze individuell geplant werden sollten.
Doch damit nicht genug. Auch bei der Vergabe der Parzellen ging die Burgergemeinde neue Wege. «Wir wollten die Parzellen der ersten Etappe nicht an Investoren oder Bauunternehmungen vergeben, sondern an die Menschen, die künftig in den neuen Wohnungen leben würden», erklärt Lauterburg. So schlossen sich Interessenten zu Eigentümergemeinschaften zusammen und entschieden sich für einen von drei Häusertypen jener Architekten, die bereits die Quartierplanung vorgenommen hatten. Nach erhalt des Zuschlags konnten die Eigentümergemeinschaften das Land im Baurecht übernehmen und gemeinsam mit dem gewählten Architekturbüro die Häuser im Detail planen und bauen. Die Interessen der Baurechtsnehmer werden durch die Genossenschaft Schönberg Ost wahrgenommen. Eine Mitgliedschaft ist daher zwingend.
Quartierhaus in Holzbauweise
In einer ersten Etappe entstanden 2010 in Schönberg Ost 116 Wohnungen in 16 Mehrfamilienhäusern. In einem Quartier, wo künftig auch Familien wohnen sollten, durfte eine Kindertagesstätte deshalb nicht fehlen. So nahm auf der Parzelle Nummer 1 das Quartierhaus Schönberg Ost in beachtlichem Tempo Form und Farbe an. Innerhalb eines Jahres entwickelten und realisierten die Architekten von Büro B den vielfach geknickten Holzbau. Der eingeschossige Bau beherbergt die Kindertagesstätte. Die Räumlichkeiten werden von der Stadt Bern gemietet und dem Verein Leolea, der die Kita Bitzius betreibt, zur Untermiete zur Verfügung gestellt. Ein Gemeinschaftsraum der Genossenschaft wurde ebenfalls in den Bau integriert. Er findet sich im Untergeschoss und verfügt über einen separaten Eingang. Die Kita und der Gemeinschaftsraum können so unabhängig voneinander genutzt werden. Der gesamte Bau ist im Besitz der Genossenschafter.
Ausschlaggebend für die Wahl von Holz als Baustoff des Quartierhauses waren zwei Faktoren: Zeit und Geld. Dank CNC-Vorfertigung liess sich die polygonale Raumgebung exakt, schnell und kostengünstig umsetzten. Die Massivholzwände bestehen aus unbehandeltem Holz aus der Region. Bei der Herstellung wurden Seitenbretter, die beim Erzeugen der Balken anfallen, ohne Kleber und Schadstoffe mit Metallstiften miteinander vernagelt. Dadurch weist das Quartierhaus eine besonders gute Öko- und Grauenergiebilanz auf. Auch auf das Innenraumklima wirkt sich die Massivholzbauweise positiv aus: So verfügt Holz über ein grosses Wärmespeichervermögen und sorgt auch im Winter für eine ausgeglichene Luftfeuchtigkeit. Für den Holzbau zeichnete die erfahrene Haudenschild AG aus Niederbipp verantwortlich. Für die zuständigen Architekten von Büro B war es hingegen der erste Bau in Massivholzbauweise. «Mit Haudenschild wussten wir aber einen sehr kompetenten Partner an unserer Seite», so Robert Braissant, verantwortlicher Architekt bei Büro B, zur erfolgreichen Zusammenarbeit.
Gebäude ohne Korridor
Auch bei der Wahl des flachen und netzartigen Grundrisses waren zwei Kriterien ausschlaggebend: Der Wunsch nach Bodenbezug für die Kinder sowie die Forderung nach einer optimalen Nutzungsfläche. So verfügen die Gruppenräume alle über einen direkten Ausgang in einen geschützten Aussenbereich. Durch die südliche Ausrichtung dieses Spielplatzes fungiert das Gebäude selbst als Windschutz vor der zum Teil stark blasenden Bise. Die Raumstruktur im Innern wurde weiter so gewählt, dass ein netzartiger Grundriss ohne Korridore entstand. Dieser erlaubt einen guten Überblick über alle Gruppenräume hinweg und bietet vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Nach Norden hin dominieren drei grosse Fenster, welche das Dach etwas überragen, um auch von Süden Licht auffangen zu können (siehe Marktfokus). Zusätzliche Lichtkuppeln auf dem Dach sorgen für helle und optimal beleuchtete Räume in der Kita.
Spiel mit Farben
Um die Orientierung innerhalb des netzartigen Grundrisses zu gewährleisten, gliedern sich die Räume in zwei stimmungsmässig verschiedene Raumtypen. So sind die grosszügigen Räume für Essen, Spiele und Rückzug ganz in natürlichen Materialen gehalten. Boden, Decken und Wände sind aus Holz. Im Gegensatz dazu sind die kleineren Infrastruktur- und Schlafräume vollständig in Limettengrün getaucht und sorgen dadurch für eine märchenhafte Stimmung. Dass die grüne Farbe durchaus für Aufsehen sorgt, bemerkt auch die Betriebsleiterin der Kita, Renate Ulrich, bisweilen. «An den Informationsabenden werde ich oft von den Eltern gefragt, wer die Farbe ausgewählt habe oder ob wir ein bestimmtes Farbkonzept vertreten», so Ulrich. Die Entscheidung für Grün war jedoch eine ganz pragmatische. Architekt Robert Braissant erklärt: «Wir haben viele Farben diskutiert und waren uns einig, dass es eine intensive, frische Farbe sein musste. Jedoch eignen sich nicht alle Farben genau gleich für diese beiden Kriterien, weshalb die Wahl letztlich auf dieses Limettengrün fiel.»
Auch die Fassade lässt ein leichtes Spiel mit Farben zu. Die Gebäudehülle besteht aus mehreren Schichten unterschiedlich tiefer und breiter Holzlamellen. Diese wurden in leicht unterschiedlichen Farbtönen behandelt. Je nach Licht erhält die Fassade dadurch eine ungewöhnliche Tiefe und macht die Hülle lebendiger.
Viel Platz für kleine und grosse Ideen
Die Kinder gestalten die Räumlichkeiten mit ihren Ideen und Themen immer wieder aufs Neue. «Die grosszügigen Garderoben mit dem direkten Zugang zum Garten sind sehr praktisch», so Ulrich. «Die kindergerechte Gestaltung der Badezimmer und Garderoben ermöglichen zudem eine grosse Selbständigkeit im Kitaalltag.» An regelmässigen Sitzungen mit der Bauherrschaft sowie dem Architekten konnte Leolea seine Anliegen und Wünsche bei der Ausgestaltung mit einbringen und diese wurden wo möglich umgesetzt. Lediglich in den grossen Gruppenräumen konnte man dem Bedürfnis der Kinder nach Rückzugsmöglichkeiten nicht ganz gerecht werden. «Dies haben wir nun ganz einfach mit festen und mobilen Raumteilern gelöst», wie Ulrich festhält. Leolea ist dennoch begeistert von seiner Kita in Schönberg Ost: «Die grosszügigen Räume wirken durch das viele Holz, die limettengrüne Farbe sowie die grossen Fenster gleichzeitig warm, modern und hell. Die Kinder und wir fühlen uns hier sehr wohl.»
Nachgefragt
Mit dem Spatenstich im Frühjahr 2013 begann die zweite Etappe der Überbauung Schönberg Ost. Bis 2016 werden weitere 38 Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 411 Eigentums- oder Mietwohnungen entstehen. Das Baufeld F ist das erste von gesamt fünf Baufeldern, auf denen in der zweiten Etappe gebaut wird. Das spezielle an Baufeld F: Es wird durch eine Projektgemeinschaft geplant und bebaut. Diese besteht aus den fünf renommierten Berner Architekturbüros Atelier 5, Büro B, IAAG, Matti Ragaz Hitz Architekten AG und GWJ Architektur AG. Robert Braissant, Architekt und verantwortlicher Partner bei Büro B, im Gespräch.
Der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppat griff beim Spatenstich zur zweiten Etappe gleich persönlich zur Schaufel. Nicht nur seines Amtes wegen, sondern weil er selbst in das neue Quartier gezogen ist. Was ist der Reiz dieses neuen Quartiers?
Schönberg Ost steht für das Leben in der Stadt mit hoher Wohnqualität. Der Blick reicht vom Jura über den Bantiger zur Alpenkette bis zum Gurten. In unmittelbarer Nähe steht das Zentrum Paul Klee und die Naherholungsgebiete wie die Schosshalde und das Wysslochtal sind in kürzester Zeit erreichbar. Dazu kommt, dass das Quartier dank zwei Buslinien sehr gut erschlossen ist und das Stadtzentrum und der Hauptbahnhof mit den öffentlichen Verkehrsmitteln dadurch rasch zu erreichen sind. Auch der Autobahnanschluss Bern-Ostring liegt in unmittelbarer Nähe.
Und dieser sorgt für eine erhebliche Lärmbelastung?
Nein, das Gebäude des Zentrums Schönberg (Kompetenzzentrum für Demenz und Palliation) entlang der Autobahn an der Ostseite des neuen Quartiers dient auch als Lärmschutzriegel. Das 250 Meter lange und viergeschossige Dienstleitungsgebäude sorgt zudem für die Energie des ganzen Quartiers inklusive des Quartierhauses. Es beinhaltet eine Holzschnitzel/Erdgas-Anlage, deren Betrieb von der EWB (Energie Wasser Bern) sichergestellt wird. Dies ermöglicht, dass alle Bauten nach den Kriterien des Minergie-Standards geplant, erstellt und betrieben werden können. Schönberg Ost setzt somit ganz auf erneuerbare Energien.
Nebst für das Quartierhaus und die Wohnhäuser im Rahmen der ersten Etappe zeigt sich Büro B auch bei zahlreichen Bauvorhaben der zweiten Etappe verantwortlich. Besonders ist dabei die Projektzusammenarbeit für das Baufeld F. Wie kam es dazu?
Bereits seit über zehn Jahren treffen sich die beteiligten Architekten ungefähr einmal im Monat für ein gemeinsames Mittagessen. Klar gibt es auf dem Platz Bern Konkurrenz, jedoch ist man in all den Jahren auch Freunde geworden und teilt die Begeisterung für die Arbeit des jeweils anderen. Da ich schon früh bei der Planung mit der Burgergemeinde involviert war, stiess ich das Thema bei einem der Mittagessen an. Wieso nicht mal etwas zusammen realisieren? So haben wir uns für das Baufeld F zusammen beworben.
Sie bekamen den Zuschlag. Was wird den künftigen Bewohner erwarten?
Das Baufeld F liegt am südlichen Rand des Quartiers und zeichnet sich durch die in der vorderen Reihe unverbaubare Aussicht auf die Alpen aus. Wir erstellen insgesamt sieben Wohngebäude mit 56 Eigentumswohnungen. Darunter sind sowohl kleine Wohnungen mit 1,5 und 2,5 Zimmern als auch grosse mit bis zu 7,5 Zimmern zu finden. Die Häuser gruppieren sich um eine gemeinsame Mitte.
Bauen Sie auch hier in Holz?
Nur zum Teil. Lediglich eines der sieben Häuser wird in Holzbauweise errichtet.
Das Quartierhaus erhielt 2012 den Prix Lignum. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Wir haben uns sehr darüber gefreut! Speziell ist für uns die Auszeichnung sicher deshalb, weil das Quartierhaus unser erster Massivholzbau war. Davor hatten wir lediglich Erfahrungen im Bereich Rahmenholzbau. Der Preis ist ganz klar ein Ansporn, auch in Zukunft auf den Baustoff Holz zu setzten.
Schönberg Ost – ein neues Quartier entsteht
Ursprünglich wollte die Burgergemeinde Bern das Areal Schönberg Ost erst in gut dreissig Jahren zur Überbauung freigeben. Dann baute der Mäzen Maurice E. Müller das Zentrum Paul Klee und stellte die Stadt vor eine Herausforderung: Die Verlängerung der Buslinie 12 liess sich nicht alleine durch die Erschliessung des neuen Kulturzentrums rechtfertigen. Die Stadt Bern konnte die Burgergemeinde davon überzeugen, dass es Zeit war, die Landreserven für eine neue Siedlung zur Verfügung zu stellen. Die Stadt Bern sollte Recht behalten. Die Häuser der ersten Etappe fanden rasch Interessenten. Die restlichen Baufelder sollten derweil nach und nach vergeben werden, die hohe Nachfrage überzeugte die Burgergemeinde letztlich aber davon, in einer zweiten Etappe alle übrigen Parzellen auszuschreiben. Die Stadt Bern gewann mit dem Planungsvorhaben 2007 den kantonalen Wettbewerb «ESP Wohnen» (ESP steht für Entwicklungsschwerpunkt). Damit anerkennt der Kanton Bern das mustergültige und innovative Vorgehen. Bis 2016 werden in Schönberg Ost 411 Wohnungen gebaut sein und ein neues Zuhause für gut tausend Menschen bieten.
Das Projekt – die Fakten und Zahlen
Projektstandort: Brechbühlstrasse 2, 3006 Bern
Fertigstellung: 2010
Bauherrschaft: Burgergemeinde Bern
Architektur: Büro B Architekten und Planer AG, Bern
Bauleitung: Rykart Architekten AG, Liebefeld
Bauingenieur: Zeltner Ingenieure AG, Belp
Holzbauplanung: Rusch Holzbaupartner, Bern
Holzbau: Haudenschild AG, Niederbipp
Verwendetes Holz: Brettschichtholz 28 m3, Bretter für Massivholzwände 92 m3,
Dreischichtplatten 770 m2, Latten gehobelt 2200 m, Täfer Weisstanne 290 m2,
Fassade Fichte 545 m2
Auszeichnung: Prix Lignum 2012, Anerkennung Region Mitte