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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

4/2022 Für alle gemacht

BAU.WERK

Anker, Kunst und 3000 Dübel

In seinem Berner Heimatort Ins wird das Erbe des Schweizer Malers Albert Anker (1831–1910) seit jeher liebevoll gepflegt. Nun wurde Ankers einstige Wirkungsstätte mit einem neuen Kunstpavillon ergänzt – einer hölzernen Schatzkammer, die vor allem unbekanntere Werke des Künstlers zeigt.

Text Susanne Lieber | Fotos Alexander Jaquemet, Stiftung Albert Anker-Haus Ins; Marcel Hegg | Pläne Atelier Marcel Hegg

Die Genrebilder des Malers Albert Anker sind kostbare Schätze. Sie zählen neben den Werken von Alberto Giacometti und Ferdinand Hodler zu den begehrtesten Objekten auf dem Schweizer Kunstmarkt. Wer sich einen echten Anker leisten will, muss entsprechend tief in die Tasche greifen.­ Gemälde wie «Die Strickschule» (1860), «Schulmädchen bei den Hausaufgaben» (1879) oder «Turnstunde in Ins» (1879) erzielen auf Auktionen Millionenbeträge.


Konserviertes Erbe
Wer das historische Wohn- und Atelierhaus von Albert Anker im knapp 4000-Seelen-Dorf Ins (BE) besucht, begibt sich auf Zeitreise. Das Habitat des Künstlers blieb über Generationen in Familienbesitz und konnte so unbeschadet die Zeit überdauern. Erst 1994 ging der Nachlass in die Stiftung Albert Anker-­Haus Ins über. Das meiste am und im denkmalgeschützten Bau aus dem Jahr 1803 ist seit dem Tod Ankers weitestgehend unberührt geblieben. Gebäude und Inventar sind deshalb ein authentisches Relikt des 19. Jahr­hunderts, als der Maler in seinem Atelier das damalige Landleben in idyllischen Szenen einfing. Kein Setdesigner könnte die Atmosphäre des Ortes dichter und präziser nachzeichnen. Und wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, Anker würde sogleich an seine Staffelei zurückkehren und den Pinsel wieder auf die Leinwand setzen.

Erbaut hat das Haus nicht Albert Anker selbst. Er hatte es von seinem Grossvater übernommen, einem Tierarzt aus gut bürgerlichem Hause. Obwohl sich das Gebäude am Typus eines Bauernhauses anlehnt, handelt es sich jedoch nicht um ein solches – trotz Stall und Tenne. Derzeit wird jener Bereich, wo einst die behandelten Tiere untergebracht wurden, umgebaut. Bis Frühling 2024 wird er zum Empfangs- und Ausstellungsraum mit Workshopbereich und Bistro umfunktioniert. Im Dachgeschoss, wo sich
Albert Anker sein Atelier eingerichtet hatte, soll ergänzend eine Dauerausstellung inte­griert werden. So wird in den nächsten zwei Jahren das historische Wohn- und Atelierhaus zu einem umfassenden Kunstzentrum transformiert – dem Centre Albert Anker. Der kürzlich fertiggestellte Holzpavillon, der sich im Garten befindet, spielt als sicherer Aufbewahrungsort für die kostbaren Kunstwerke dabei eine besondere Rolle.

Hüter des Schatzes
Der schlichte Holzpavillon fungiert gewissermassen als Spycher (Speicher), wie man ihn von alten Bauernhäusern kennt. Einst wurde dort aufbewahrt, was lebenswichtig und kostbar war: Getreide und andere Vorräte, aber auch Geschmeide, Sonntagstrachten und wichtige Dokumente. Die Lagerung in einem separaten Gebäude sollte im Brandfall des Bauernhauses verhindern, dass das gesamte Hab und Gut mit in Flammen aufgeht. In dieser Tradition des Bewahrens sieht sich auch der hölzerne Neubau. Hier soll das künstlerische Erbe Albert Ankers hinsichtlich Klimatechnik und Sicherheit professionell gelagert werden. Ausserdem wird hier Besuchenden die Möglichkeit gegeben, bislang unveröffentlichte Werke des Künstlers zu Gesicht zu bekommen.

Mondholz im Zickzackkurs
Für den Entwurf des Kunstpavillons zeichnet Marcel Hegg verantwortlich. Der Architekt ist geradezu prädestiniert für dieses Bauprojekt. Zum einen, weil er bereits über eine entsprechende Expertise im Bereich Kunstbau verfügt. Zum anderen, weil er in Ins aufgewachsen und dadurch eng mit dem Ort und dessen (Künstler-)Geschichte verbunden ist. Bei der baulichen Umsetzung des Entwurfs wurde Marcel Hegg unterstützt von der Akkurat Bauatelier GmbH sowie von der Truberholz AG?/?Zimmerei Hirschi AG.

Der Pavillon an sich ist funktional und schlicht konzipiert: Das Gebäude besteht aus einem rechteckigen Volumen mit einer Grundfläche  von 19 auf 10,6 Metern und ist von einem Laubengang umgeben. Dieser bildet eine zweite Haut um das Gebäude, die vor Witterung schützt. Die Eichenstützen in Fachwerkordnung – diese erinnert optisch an die Initialen A. A. – sind im oberen Teil mit Eichenlamellen verbunden und verleihen dem Holzbau ein markantes Erscheinungsbild.

Insgesamt fünfzig Eichen wurden für den Pavillon verbaut. Sie stammen alle aus den Wäldern des Seelands. Dabei handelt es sich um sogenanntes Mondholz, das im Dezember 2020 und im Januar 2021 während den abnehmenden Mondphasen geschlagen wurde. Geschätzte 150 Jahre waren die Bäume jeweils alt. Ihre Jugendjahre fielen somit in die Schaffenszeit von Albert Anker. Ob sich die Wege des Künstlers und der Bäume damals wohl kreuzten? Freilich nur ein Gedankenspiel, aber möglich wäre es.

Die Kunst des Dübelns

Erschlossen wird der Bau von der Westseite her über eine Steinrampe, die zunächst mittig auf das Gebäude zuläuft. Dann führt sie rechter Hand zum Betriebseingang, von wo man ins Untergeschoss gelangt. Linker Hand geht es zum Besuchereingang und weiter in den offenen Ausstellungs- und Lagerraum. Ein Windfang bildet jeweils den Übergangsbereich von Aussen- und Innenwelt.

Auf dem Weg zu den Eingängen ist entlang der Holzfassade eine Besonderheit auszumachen: ein Punktraster, das sich als Reliefstruktur von der Holzoberfläche abhebt. Ein Verweis auf die Konstruktionsweise der fünfzig (!) Zentimeter starken Holzwände: Diese bestehen aus unverleimten Bretterlagen (Tanne), die lediglich auf mechanische Weise zusammengefügt sind. Die 3000 Dübelköpfe in Eiche tragen dies dekorativ-ornamental nach aussen. Gedämmt ist das Gebäude nicht. Ausschliesslich die massiven Vollholzwände sorgen dafür, dass im Pavillon eine relativ konstante Temperatur herrscht. Aufgrund der thermischen Trägheit des Holzes heizt sich der Bau im Sommer nicht so schnell auf und kühlt im Winter nicht so schnell ab. Ein wichtiger Aspekt, wenn es um die fachgerechte Lagerung von Kunstschätzen geht. Die Temperaturregelung funktioniert hier deshalb mit etwas weniger technischem und energetischem Aufwand als üblich. Was auch Vorgabe für den Gebäude­entwurf war.

Unbekannter Anker

Herzstück im Erdgeschoss bildet ein grosser offener Raum. Mit einer Fläche von rund hundert Quadratmetern bietet er genügend Platz, um die Werke von Albert Anker sachgerecht zu lagern und adäquat auszustellen. Auch hier gibt Eichenholz den Ton an, was sich nicht nur am Bodenbelag ablesen lässt. Die Schubladenschränke, das Brusttäfer, die Eingangstüren und die Ausstellungsnischen sind ebenfalls aus heimischer Eiche. Die Ober­schränke und die Decke hingegen sind in Schwarz ausgeführt und nehmen sich optisch zurück.

Natürliches Licht dringt hier kaum in den Raum. Dieser verfügt nur über ein Fenster mit Verdunkelungsstoren, da die Kunstwerke vor UV-Licht geschützt werden müssen.

Um die Wände als Präsentationsflächen nutzbar zu machen, wurde dort ein einfaches Gittersystem aus Metall angebracht. Hier können Ausstellungsobjekte eingehängt und zur Schau gestellt werden. Dabei wird es sich übrigens weniger um typische Ölgemälde mit ländlichen Szenen oder Porträts handeln, für die Anker bekannt ist – und die bereits zahlreich in grossen Museen zu sehen sind. Im Kunstpavillon in Ins sollen vorzugsweise unbekanntere Werke des Künstlers in den Fokus gerückt werden. Werke, die bislang noch nicht gezeigt wurden, Zeichnungen und Aquarelle zum Beispiel. «Viele davon konnten der Öffentlichkeit bisher noch nicht zugänglich gemacht werden, da sie sich in Familienbesitz befanden», erklärt Daniela Schneuwly-­Pofett. Die Kunsthistorikerin ist seit April 2022 künstlerische und betriebliche Leiterin des Centre Albert Anker.

Im Gegensatz zum Erdgeschoss steht Besuchenden das Untergeschoss nicht offen. Hier befinden sich ein Büro und ein Atelier, wo inventarisiert, archiviert und geforscht wird. Zudem sind hier die Administration, ein Lager- sowie ein Technikraum verortet.


Der Kunst verpflichtet

Dem Centre Albert Anker kommt mit dem Bau des Holzpavillons eine besondere Rolle in der Kunst- und Kulturlandschaft zu. Dass es gelingt, ein historisches Wohn- und Arbeitsumfeld eines Künstlers aus dem 19. Jahrhundert derart authentisch zu erhalten, ist an sich schon beachtlich. Dass es aber darüber hinaus auch noch möglich ist, in einem ergänzenden Bau das professionelle Archivieren und Konservieren der Kunst in unmittelbarer Nähe unterzubringen, ist einzigartig. Einzigartig ist das Projekt auch für den Architekten Marcel Hegg. «Das Besondere für mich war hier, dass ich den gesamten Bauprozess hautnah miterleben konnte: die Auswahl der Eichen im Wald, das Fällen der Bäume, das Verarbeiten des Holzes in der Sägerei, das Vorbereiten der Bauteile in der Zimmerei, das Aufrichten und die Nachbearbeitung. So entstanden ein tiefes Verständnis und eine grosse Wertschätzung gegenüber dem Material Holz, der Arbeit und dem fertigen Werk.»

Ab Frühling 2024 wird das Centre Albert
Anker als Gesamtensemble der Öffentlichkeit zugänglich sein.
centrealbertanker.ch, truberholz.ch, zimmereihirschi.ch

Albert Anker

Geboren wird Albert Anker 1831 in Ins (BE). Seine Ausbildung zum Maler erlangt er in Paris. Dort unterhält er – neben seiner Wirkungsstätte im Heimatort – jahrzehntelang ein Atelier. Schon zu Lebzeiten ist er ein gefragter Künstler. Bekannt ist er vor allem für seine Ölgemälde mit genrehaften Landszenen und seine beseelten Porträts. Nach einem Schlaganfall, der seine rechte Hand lähmt, kann er keine grossen Gemälde mehr an der Staffelei malen. Er widmet sich deshalb mehr dem Zeichnen und Aquarellieren von kleineren Bildern, die er auf dem Schoss anfertigen kann. 1910 stirbt Albert Anker in seinem Heimatort. Sein Nachlass ging in die Stiftung Albert Anker-Haus Ins über. (Bild: Selbstbildnis in Öl, 1901, Kunstmuseum Bern)


Marcel Hegg (Atelier Marcel Hegg)

Geboren wurde Marcel Hegg 1982 in Biel, aufgewachsen ist er in Ins (BE). Nach einer Hochbauzeichnerlehre studierte er zunächst Innenarchitektur, Objektdesign und Szenografie an der IN3 Basel und ab 2007 berufsbegleitend Architektur an der Berner Fachhochschule. Ab 2008 war er als Projektleiter bei Gasser, Derungs Innenarchitekturen GmbH in Zürich tätig – unter anderem mit dem Schwerpunkt Architekturprojekte im Kunst- und Kulturbereich. 2020 gründete Marcel Hegg sein eigenes Büro in Biel. Seit 2021 engagiert er sich beim Berner Heimatschutz als Bauberater. marcelhegg.ch

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