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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

4/2022 Für alle gemacht

BAU.WERK

Aarauer Kulturtempel

Die Alte Reithalle in Aarau wurde zu einem Veranstaltungsort für unterschiedliche Kunstformen umfunktioniert. Unter dem imposanten historischen Dachstuhl gibts jetzt sinfonische Musik, Theater und Tanz.

Text Susanne Lieber | Fotos Luca Zanier | Pläne Barão-Hutter

 

Einst schnaubten die Pferde der Kavallerie durch die Halle. Früher wurde das Gebäude aus dem Jahr 1863 vom Militär genutzt. Heute, knapp 160 Jahre später, klingt es ganz anders, wenn man die historische Reithalle betritt. Im letzten Herbst hat die Aargauer Philharmonie (argovia philharmonic) Einzug gehalten und lockt nun Klassikfans mit Schubert, Mozart und Prokofjew. Zuvor wurde das Gebäude knapp fünf Jahre lang kulturell zwischengenutzt.

Eine raumakustisch ideale Ausgangslage hatte das Gebäude – von einem imposanten  Dachstuhl aus Holz überspannt – nicht gerade. Ein Saal mit siebzig Metern Länge und zwanzig Metern Breite ist suboptimal. Doch in einem Interview relativiert der verantwortliche Architekt Peter Hutter vom Büro Barão-Hutter: «Die fein texturierten Oberflächen, das Holz, der Staub, der Kalk, das enorme Volumen – das ist genau das, was viele berühmte Konzertsäle auch haben.»

Die Akustik so weit zu optimieren, dass der historische Saal den hohen Ansprüchen eines Profi-Orchesters genügt, war kein leichtes Unterfangen. Vergleichbare Umbauprojekte als Referenzen konnten keine gefunden werden. Doch das Ergebnis spricht für sich. Chefdirigent Rune Bergmann sei höchst zufrieden, heisst es. Und er ist, nebst dem Publikum, schliesslich die wichtigste Instanz.


Maximale Nutzungsfreiheit

Die Halle ist aber nicht nur Konzertsaal für klassische Musik. Sie dient als Veranstaltungsort für diverse kulturelle Nutzungen – für Tanz, Theater und zeitgenössische Zirkuskunst zum Beispiel. Damit handelt es sich um ein einzigartiges Mehrspartenhaus mit einer solchen Historie.

Der Entwurf des Kasernenareals, zu dem neben der Alten Reithalle auch die ehemaligen Stallungen gehören (hier wurde eine Bar integriert), stammt aus der Feder des Architekturbüros Barão-Hutter. Es hatte 2012 den Projektwettbewerb gewonnen, der von der Stadt Aarau ausgeschrieben wurde. Unter der Gesamtleitung von Ghisleni Partner AG aus Zürich haben die Architekten das Projekt als Generalplaner realisiert.

Spannend ist bei der Bespielung der Halle, dass die 2000 Quadratmeter grosse, stützenfreie Fläche nicht eindeutig abgegrenzte Bereiche fürs Publikum, die Künstler oder die Technik aufweist. Der Raum ist aufgrund mobiler Tribünentürme, Schwerlastschienen mit fahrbaren Kettenzügen sowie flexibler AV-Technik unterschiedlich nutzbar. Sogar das Foyer ist in seiner Verortung und Grösse nicht fix definiert und wird lediglich mittels hängenden Textilien gebildet.


Allgegenwärtig: Der alte Dachstuhl

Egal, wie die Alte Reithalle genutzt wird, der markante Dachstuhl ist omnipräsent. Mit Unterstützung der Holzbauingenieure der Makiol Wiederkehr AG sowie der Schaerholzbau AG konnte dieser mit einem baulichen Kniff so entlastet werden, dass er das tonnenschwere Gewicht von Schwerlastschienen und Technik tragen kann. Konstruktiv gelöst ist dies mit einem freispannenden Überdach. Es nimmt dem alten Dach die Wind-, Schnee- und Ziegellast ab und wurde mit höchster Präzision erstellt. Nur acht Zentimeter beträgt der Abstand zum Bestandsdach, das hierbei nicht berührt werden darf. Das neue Überdach besteht nun aus siebzig Zentimeter hohen Dachflächenelementen: Diese sind aus Schallschutzgründen beidseitig mit jeweils vierzig Millimeter starken Fichtenplatten beplankt.

Besondere Beachtung wurde bei allen baulichen Massnahmen dem Schutz der historischen Patina geschenkt, die unbedingt erhalten bleiben sollte. Nicht nur aus Nostalgie­gründen, sondern auch, weil sie sich positiv auf die akustische Qualität der Halle auswirkt. Und so gehen hier Alt und Neu Hand in Hand und lassen gemeinsam etwas Besonderes entstehen – einen Ort, an dem sich die Kunst frei entfalten kann. schaerholzbau.ch                      

Barão-Hutter

Gegründet wurde das Büro 2012 von den Architekten Ivo Barão und Peter Hutter. Sein Sitz ist in St.Gallen. Das Architektenduo beschäftigt sich mit Bauaufgaben unterschiedlicher Disziplinen: Architektur, Städtebau und Landschaftsgestaltung. Seit 2022 unterrichten zudem beide an der Technischen Universität München. barao-hutter.com


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Alte Reithalle
Standort: Apfelhausenweg 20, Aarau (AG)
Bauherrschaft: Stadt Aarau
Auftragsart: Offener und einstufiger Projektwettbewerb, 2012
Fertigstellung: 2021
Generalplaner: ARGE Barão-Hutter / Ghisleni Partner
Gesamtleitung: Ghisleni Partner AG, Zürich
Architektur: Barão-Hutter, St.Gallen
Bauingenieur: Borgogno Eggenberger + Partner AG, St.Gallen
Holzbauingenieur/Brandschutz: Makiol Wiederkehr AG, Beinwil am See (AG)
Holzbau: Schaerholzbau AG, Altbüron (LU)
Neues Überdach: aus doppelt beplankten Holzelementen (Fichte, 70 cm)
Theatertechnik: Theaterplanung GmbH, Baar (ZG)
Konzertakustik: Applied Acoustics GmbH, Gelterkinden (BL)
Geschossfläche (SIA 416): 2500 m2
Gebäudevolumen (SIA 416): 25 000 m3
Baukosten: CHF 20,45 Mio.

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