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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

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FOKUS.THEMA

Augen Auf!

Es ist zwar nur ein kleiner Anbau – doch der hat es in sich. Kunst am (Holz-)Bau par excellence. Ein Besuch in Zürich-Witikon.

Text Susanne Lieber | Fotos Alexandre Kapellos | Pläne Studio Anna Jach

 

Witikon ist im Umbruch. Das Zürcher Quartier – eine ehemals selbstständige Gemeinde, die heute zum Kreis 7 gehört – steht vor starken Veränderungen. Gleich vier grosse Siedlungen werden in den nächsten Jahren entstehen. Bislang zählt Witikon rund 11 000 Einwohner, bald werden es etwa 2500 mehr sein. Ein sprunghafter Anstieg, der vor allem die älteren Bewohner schmerzt. Sie kannten das Quartier noch als ländliches Idyll, mit wilden Wiesen, auf denen Schafe weideten. Jetzt wird an jeder Ecke verdichtet und aufgestockt. Die Wiesen? Verschwinden. Zürich expandiert in alle Richtungen und macht auch vor Witikon nicht Halt.

Steht man vor dem Haus der Architektin Anna Jach, ist von alledem (noch) nichts zu spüren. Seit mittlerweile elf Jahren lebt sie in Witikon, zusammen mit ihrem Mann und zwei Kindern im Alter 10 und 14 Jahren. Die gebürtige Polin engagiert sich sehr im Quartier und ist mitunter im Vorstand des Kulturvereins Eierbrecht, der in einer Scheune nicht nur Ausstellungen und Konzerte, sondern auch kulinarische Veranstaltungen organisiert. Zur Freude der Quartierbewohner, die diesen Ort der Begegnung sehr schätzen. Das Haus der Architektin wurde im Jahr 1927 erbaut. «Wir wohnten hier zuerst ein paar Jahre zur Miete. Im Jahr 2020 konnten wir es dann kaufen – zusammen mit einem Atelierbau gleich nebenan», erklärt sie. Dort hat sie sich ihr Büro und einen Showroom eingerichtet, in dem sie osteuropäische Designobjekte vertreibt. Kurz nach dem Kauf des Wohnhauses begann die Familie, es umzubauen und ihren Bedürfnissen anzupassen. Die erste Umbauphase umfasste die Küche, die noch aus den 1950er Jahren stammte. Sie war klein und hatte zum Garten hin nur ein winziges Fenster. Der Raum wurde deshalb grundlegend modernisiert und mit einer Terrassentür geöffnet. Ein riesiger Gewinn, denn der direkte Zugang nach draussen steigerte die Wohn- und Lebensqualität enorm. Gerade erst hatte die Coronapandemie das öffent­liche Leben lahmgelegt, und private Grün­bereiche wurden zu einem noch kostbareren Privileg, als sie es ohnehin schon sind.


Kleiner Holzbau, der es in sich hat

Von der Küche aus gelangt man über zwei Wege in den neuen Holzanbau, der 2022 hinzugefügt worden ist: zum einen über eine «getarnte» Türe, die direkt zum Eingangsbereich führt – ein lustiges Detail, das schon für so manche Irritation gesorgt hat. «Gäste, die diesen Durchgang noch nicht kennen, denken, da verschwindet jemand im Küchenschrank», erzählt Anna Jach lachend.

Zum anderen gelangt man über einen Durchbruch, der mit schweren Filzvorhängen zugezogen werden kann, von der Küche direkt ins Wohnzimmer mit Bibliothek. Hier zeigt sich, welche Qualitäten in dem kleinen Holzanbau stecken, der aus vorfabrizierten und gedämmten Holzelementen besteht: Der Wohnbereich geht über zwei Geschosse und sorgt für einen überraschend grosszügigen Raumeindruck. Die Bücherwand erstreckt sich dabei hinauf bis zur Decke, was einer Höhe von über fünf Metern entspricht. Gefertigt wurde das Regal aus weiss geölten Dreischichtplatten – wie auch die gesamte Innenverkleidung und die Treppe, die oben hinauf ins Dachgeschoss führt. «Es war das einzige Material, das während der Pandemie noch verfügbar war», erklärt die Architektin sichtlich glücklich. Auch darüber, dass die Zusammenarbeit mit dem Holzbauunternehmen (Holzbau Oberholzer GmbH) so reibungslos funktionierte. Sie hatten bereits zuvor schon zusammengearbeitet und kannten sich.

Zwischen den Büchern – es sollen etwa 500 sein – lenkt ein grosses, rundes Fenster den Blick nach draussen. Mit einem Durchmesser von 1,50 Metern hat es eine stattliche Dimension. Es ist das grösste der drei Bullaugen, die dem hölzernen Anbau einen besonderen Charakter verleihen. Gefertigt wurden sie von der Zürcher Fensterfa­brik Albisrieden. «Durch die runde Fassung erlebt man die Natur draussen anders. Das sind wirklich Bilder, die da entstehen», erklärt die Architektin und Bauherrin in Personalunion. Die Rundung der inneren Verkleidung sauber hinzubekommen, war allerdings nicht einfach. Es wurden einige Versuche gemacht und Verschiedenes ausprobiert. Am Ende war besonders dünnes und stabiles Flugzeugsperrholz, das üblicherweise im Modellbau verwendet wird, die Lösung. Auf der Innenseite von oben beleuchtet, machen die Fenster auch abends was her.

Das Highlight im Wohnbereich ist aber weder die Bücherwand noch das runde Fenster, sondern die Schaukel?… ist doch klar! Zumindest, wenn es nach der zehnjährigen Tochter geht. Ihre Begeisterung fürs Durch-die-Luft-Schwingen reisst einfach nicht ab.


«Das geht wirklich zu weit!»

Auch im Eingangsbereich wird deutlich, das hier eine ambitionierte Architektin am Werk war. Standard hatte auch hier keine Chance, was an der knapp drei Meter hohen Tür zur Gästetoilette ablesbar ist. «Ich wollte an dieser Stelle keine Türklinke haben», erzählt sie. Mit allen ihren Sonderwünschen kam sie allerdings nicht immer durch. Nicht nur ihr Mann, Kryptologe, sondern auch die beiden Kinder mussten sie manchmal zurück auf den Boden holen. Dann hiess es unmissverständlich: «Mama, das ist unpraktisch – das geht wirklich zu weit!»

Vom Eingangsbereich führt eine Treppe nach oben. Hier befinden sich ein offener Raum zum Meditieren und ein Arbeitsplatz mit Blick auf die Bibliothek. Das offene Raumgefüge schafft abwechslungsreiche Blickbeziehungen, auch zum oberen Geschoss hinauf. Über eine Treppe, deren Stufen gleichzeitig kostbaren Stauraum bilden, geht es von hier ins Dachgeschoss.


Konstruktive Tücken

Die Verbindung zwischen Alt- und Neubau gestaltete sich konstruktiv nicht immer einfach. So musste beispielsweise aufgrund der niedrigen Raumhöhe im Altbau der Deckenaufbau im Neubau minimiert werden, damit eine durchgängige Fläche ohne Absätze entstand. Auch der Aufbau unterhalb des Parketts mit Trittschalldämmung und Pavatex-Platten wurde so gering wie möglich gehalten. In Sachen Statik gab es ebenfalls die eine oder andere Herausforderung, da das alte Bestandsgebäude immer wieder abgefangen werden musste. «Weil es ein kleines Bauprojekt war, haben wir dafür aber keinen Holzbauingenieur hinzugezogen. Alle nötigen Berechnungen hat in diesem Fall Roman Blöchlinger von Holzbau Oberholzer gemacht», so die Architektin.

Im Dachgeschoss liegt das Reich des Sohnes, zu dem ein Schlaf- und ein Arbeitsbereich sowie ein eigenes Bad gehören. Und nicht nur das: auch zwei Terrassen! Dass diese existieren, ist den Bauvorschriften zu verdanken, denn eigentlich hatte die Architektin keinen Aussenraum vorgesehen. Da das Bauamt aber nur zwei Vollgeschosse bewilligte, durfte sie nur begrenzt nach oben bauen.


Kunst am Bau

Dass Kunst für die Bewohner des Hauses eine wichtige Rolle spielt, zeigt sich bereits bei der Eingangstür. Überdacht ist sie mit einem Luftkissen aus Metall. Das Kunstwerk stammt von einem Freund, dem polnischen Designer Oskar Zieta. «Das Metall wurde vor unseren Augen aufgeblasen. Wir waren online live dabei», erzählt Anna Jach begeistert.

Spektakulär ist aber vor allem die Fassadenkunst (Drzach & Suchy), ein CNC-gefrästes Relief in Form eines Auges, das ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Holzbau Ober­holzer GmbH entstand. Es hat allerdings etwas Überzeugungskunst der Architektin benötigt, ehe sich der Holzbauspezialist auf dieses Kunstexperiment eingelassen hat. Zunächst war die Skepsis gross, denn so etwas hatte das Unternehmen noch nie gemacht. Nach ersten Mustern hat der Holzprofi dann doch Feuer gefangen und liess sich von dieser Idee begeistern. Allerdings schlug er vor, das Relief nicht aus Fichte zu fertigen wie den Rest der hinterlüfteten Fassadenschalung, sondern aus grau lasiertem Accoya-Holz (modifizierte Radiata-Kiefer), einem besonders formstabilen und widerstandsfähigen Holz. Das Resultat ist beeindruckend: Durch den Sonnenverlauf und den dadurch wandernden Schatten öffnet und schliesst sich das Auge – wie von selbst. (Ein Video dazu gibt es auf: drzachsuchy.ch)
holzbau-oberholzer.ch


Architektin Anna Jach

Die gebürtige Polin Anna Jach hat an der ETH Zürich sowie an der Harvard University in den USA Architektur studiert. Im Anschluss absolvierte sie ein Nachdiplomstudium in Computer Aided Architectural Design an der ETH Zürich. Es folgten Mitarbeiten in verschiedenen Architekturbüros in Zürich, Berlin und New York. Von 2005 bis 2011 war sie als leitende Architektin bei Herzog & de Meuron in Basel tätig. Danach gründete sie zusammen mit Andrea Landell das Büro JL Architekten. Im Jahr 2012 folgte die Gründung der Studio Anna Jach Gmbh. Ergänzend zu ihrer Bautätigkeit ist sie Partnerin des Designstudios Drzach & Suchy, vertreibt osteuropäisches Design und schloss kürzlich ein Nachdiplomstudium im Bereich «Regenerative Materialien» ab. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Witikon (Zürich). annajach.ch

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